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Chancenlos im Männerberuf: Werkzeugmechanikerin fühlt sich ungerecht behandelt

Ulrike Granich erlebt, wie schwer es ist, sich als Werkzeugmechanikerin durchzusetzen

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Ulrike Granich hat ihre Ausbildung zur Werkzeugmechanikerin bei der Firma Wittenstein absolviert und später dort gearbeitet. | © Karin Prignitz

Ulrike Granich hat ihre Ausbildung zur Werkzeugmechanikerin bei der Firma Wittenstein absolviert und später dort gearbeitet. | © Karin Prignitz

15.01.2019 | 15.01.2019, 14:00

Verl. Kleine Narben an den Händen, die Klamotten riechen nach Öl. „Für mich ist das kein Problem", betont Ulrike Granich. „Ich bin kein pinkes Mädchen." Soll heißen: Sie zählt zu jenen Frauen, die sich ganz bewusst für den Beruf der Werkzeugmechanikerin entschieden haben. In dem geht es zuweilen körperlich anstrengend zu, und die Finger müssen nach getaner Arbeit geschrubbt werden. Genau dieses Wirken mit den Händen ist es, was die junge Verlerin so mag. Arbeit in einem typischen Männerberuf zu finden, ist allerdings schwierig.

Ulrike Granich wünscht sich mehr Akzeptanz weiblicher Mitarbeiter in metallverarbeitenden Berufen. - © Karin Prignitz
Ulrike Granich wünscht sich mehr Akzeptanz weiblicher Mitarbeiter in metallverarbeitenden Berufen. | © Karin Prignitz

Als sie drei Jahre alt war, zog Ulrike Granich mit ihrer Familie nach Bornholte. Die Hauptschule absolvierte sie erfolgreich, verließ sie mit dem Realschulabschluss. Schon in Klasse neun begann die gebürtige Steinheimerin, sich zu bewerben. „Elektronikerin oder Tierpflegerin, das konnte ich mir vorstellen", erzählt die heute 27-Jährige. „Ich wusste, was mir gefällt." Ihr Stiefvater ist Elektroniker. Ein Berufsfeld, das auch ihr zusagte.

Nur Männer wurden eingestellt

Bereits während eines Schulpraktikums schnupperte sie in diesen Bereich hinein. „Ich war erstaunt, wie filigran dort gearbeitet wird." Als sie sich schließlich um eine Stelle bewarb, „bin ich unter die ersten 20 von 140 gekommen", erzählt Ulrike Granich. Eingestellt worden seien dann aber ausschließlich Männer. Sie versuchte es weiter. „Als meine Berufsberaterin hörte, dass ich schon 35 Bewerbungen geschrieben hatte und noch nicht mal eine Einladung zum Vorstellungsgespräch bekam, hat sie mir ihre Hilfe angeboten."

Fachlageristin und Werkzeugmechanikerin, diese zwei Ausbildungsmöglichkeiten bot sie Ulrike Granich an. „Das erste wollte ich auf keinen Fall." Das zweite unbedingt.

"In der Berufsschule war ich das einzige Mädchen"

Von der Firma Wittenstein im Industriegebiet erhielt sie ein paar Monate nach dem ersten Kontakt einen Ausbildungsvertrag. „Den habe ich an meinem Geburtstag unterschrieben", erinnert sich Ulrike Granich an den besonderen Moment. Fünf Monate später, im August 2007, begann sie mit ihrer dreieinhalbjährigen Lehre. „In der Berufsschule war ich das einzige Mädchen." Nicht leicht sei das gewesen.

„Ein Jahr hat es gedauert, bis mich die anderen akzeptiert haben." Ob sie sich nicht unwohl fühle in einem Männerberuf, wollten die männlichen Azubis wissen. Ulrike Granich konnte das eindeutig verneinen. „Ich habe definitiv keine Angst, mich dreckig zu machen oder mir die Fingernägel abzubrechen." Und auf den Mund gefallen sei sie auch nicht, hebt die 27-Jährige hervor.

Toiletten für weibliche Mitarbeiter gibt's nur im zweiten oder dritten Stock

Nach dem Ende der Ausbildung wurde sie übernommen. Bleiben konnte sie dennoch nur ein Jahr. Die Kündigung erfolgte aus betrieblichen Gründen. Wieder schrieb Ulrike Granich um die 30 Bewerbungen, denn „ich wollte unbedingt etwas mit meinen Händen machen und nicht acht Stunden vor dem Computer sitzen". Ein Jahr und drei Monate suchte sie nach einem neuen Arbeitsplatz. „Das war ziemlich schwer, denn erstens hatte ich noch kaum Erfahrung, zweitens bin ich ein Mädchen."

Kaum jemand habe ihr eine Chance gegeben, sich zu beweisen. Immerhin wurde sie zu fünf Vorstellungsgesprächen eingeladen. „Die Absage kam am gleichen Tag oder einen Tag später." Toiletten für weibliche Mitarbeiterinnen gebe es nur im zweiten oder dritten Stock, sei eine der Begründungen gewesen. „Aber das hätte mir überhaupt nichts ausgemacht." Andere nahmen an, dass die 27-Jährige wohl über kurz oder lang Mutterfreuden entgegensehen würde – und entschieden sich für einen Mann.

In der Realität funktioniert es nicht

Auf ihrer mittlerweile aussichtslos scheinenden Suche nach einem Arbeitsplatz in der metallverarbeitenden Industrie fand Ulrike Granich schließlich eine kleine Firma für Werkzeugbau in Gütersloh. Doch die Stelle war befristet. Fünf Monate später wechselte sie in ein ähnliches Unternehmen nach Herzebrock-Clarholz und blieb dort neun Monate, ehe unvermittelt der Anruf vom einstigen Ausbildungsbetrieb kam. Im Oktober 2014 stand Ulrike Granich wieder in der vertrauten Halle der Firma Wittenstein und blieb dort bis September 2018. „Zu diesem Zeitpunkt wurde dort der Werkzeugbau dicht gemacht – also hatte ich wieder das gleiche Problem."

Wieder Bewerbungen schreiben, zum Arbeitsamt laufen. Ulrike Granich hat darüber nachgedacht, sich umschulen zu lassen. Bezahlt bekommen würde sie eine solche Maßnahme jedoch nicht. „Ich habe nachgefragt und die Antwort bekommen, dass es schließlich genügend Jobs gebe." Das nütze ihr wenig, sagt Ulrike Granich, „wenn zwar immer dafür geworben wird, mehr Frauen in typische Männerberufe zu integrieren, das in der Realität aber nicht funktioniert". Männer würden in Frauenberufen akzeptiert, „wieso nicht auch umgekehrt", fragt sich die Verlerin. „Das ist doch ungerecht."

"An den Betrieben liegt es mit Sicherheit nicht"

Swen Binner, Geschäftsführer Berufliche Bildung der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld, kann bestätigen, dass es einen deutlichen Männerüberhang in metallverarbeitenden Firmen gibt. Er betont jedoch: „An den Betrieben liegt es mit Sicherheit nicht." Seinen Erfahrungen nach „liegt es eher am Desinteresse der jungen Frauen". Fachkräfte würden händeringend gesucht, „deshalb wundert mich der beschriebene Fall extrem".

Klaus Mertensmeier, technischer Geschäftsleiter von JoRe-Werkzeugbau bestätigt, dass Bewerbungen von Frauen selten sind. Derzeit gebe es aber eine Auszubildende, „für 2019 haben wir gerade eine Dame eingestellt, wir geben ihnen eine Chance und machen keinen Unterschied".

"Die Betriebe schaden sich selbst, wenn sie Frauen aussortieren"

Die von der Bundesagentur für Arbeit ermittelten Zahlen für NRW und den Kreis Gütersloh sprechen dennoch für sich und erstaunen auch Pressesprecher Christoph Löhr. „Wenn man davon ausgehen kann, dass der Arbeitsagentur 50 Prozent der offenen Stellen gar nicht gemeldet werden, dann käme ein Arbeitsloser auf zwei offene Stellen." Das spiegele einen horrenden Bedarf wider. „Im Prinzip", sagt Löhr, „schaden sich die Betriebe selbst, wenn sie Frauen vorab aussortieren."


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