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Welche Auswirkungen Disney-Filme auf die Psyche von Kindern haben

Nicht nur Rollenbilder und Schönheitsideale können zur Gefahr für den Nachwuchs werden

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Farbenfroh: Eines haben Dinsney-Filme gemeinsam – das Happy End. „Man kann viele schlimme Dinge erleben und sich trotzdem aus so einer Situation befreien. Das ist ein tolles Zeichen", sagt Psychotherapeutin Janina Freiburg. | © Andreas Frücht

Farbenfroh: Eines haben Dinsney-Filme gemeinsam – das Happy End. „Man kann viele schlimme Dinge erleben und sich trotzdem aus so einer Situation befreien. Das ist ein tolles Zeichen", sagt Psychotherapeutin Janina Freiburg. | © Andreas Frücht

17.01.2019 | 07.06.2022, 12:28

Psychotherapeutin: Janina Freiburg. - © Christian Geisler
Psychotherapeutin: Janina Freiburg. | © Christian Geisler

Verl. Disney-Filme vermitteln Botschaften und Werte. Teils offensichtlich, teils unterschwellig nehmen sie Einfluss auf das Leben eines Zuschauers. Filme wie „Arielle", „Aladdin" und „Der König der Löwen" strotzen nur so von Rollenbildern, Normen und Idealen, die sich problemlos auf den Alltag projizieren lassen.

Das ist nicht immer positiv. Denn den Betrachtern, darunter viele Kinder, ist das oftmals nicht bewusst. Zwar liegen Botschaften von Freundschaft und Zusammenhalt auf der Hand, genau so definieren Disney-Filme aber auch ein klares Rollenbild von Mann und Frau sowie ein eindeutiges Schönheitsideal. Das bestätigt auch Janina Freiburg. Die Psychotherapeutin betreibt eine Praxis in Verl und wird darin häufig mit den Folgen unterschwelliger Beeinflussung von Menschen konfrontiert. Im Gespräch mit der Neuen Westfälischen erklärt sie, welchen Einfluss Disney-Filme auf die Psyche von Kindern haben.

Information
Der Bechdel-Test

  • Die amerikanische Cartoon-Zeichnerin und Autorin Alison Bechdel machte 1985 den Bechdel-Test in ihrem Comic „Dykes to Watch Out For" ( „Bemerkenswerte Lesben") bekannt.
  • Dabei handelt es sich um keinen wissenschaftlichen Test. Vielmehr wird er herangezogen, um Stereotypisierungen weiblicher Figuren in Spielfilmen wahrzunehmen und zu beurteilen.
  • Mit dem Bechdel-Test wird nicht die filmische Qualität beurteilt. Vielmehr geht es darum, ob Frauen vorkommen und ob sie als vollwertiger Charakter dargestellt werden oder sich eher über die Beziehung zu Männern definieren.

Die Rollenbilder

Jungen tragen blaue Pullover, Mädchen rosafarbene. Es ist gesellschaftlich vorbestimmt, wie ein Mädchen oder ein Junge zu sein hat. „Solche Rollenbilder werden natürlich durch Filme gestärkt. Gerade innerhalb von Disney-Filmen wird sehr viel damit gespielt", sagt Freiburg. Sie ergänzt: „Während die Frauen hilfsbedürftig sind, werden die Männer als draufgängerisch und stark dargestellt. In den älteren Filmen werden die Frauen meist von einem Prinzen gerettet."

Kinder würden dann das Verhalten der Protagonisten, wenn auch unterbewusst, adaptieren. „Durch solche Filme wird ein riesiger Druck auf beide Geschlechter ausgeübt, so zu sein, wie die Gesellschaft sie haben möchte", erklärt die Psychotherapeutin. „Das Mädchen ist also die kleine Prinzessin, süß, niedlich, angepasst. Der Junge darf nicht weinen, ist tough, stark und verwegen."

Dass es auch anders geht, zeige das Beispiel des Disney-Films „Merida". Dieser handelt von der schottischen Prinzessin Merida, die verheiratet werden soll. Ihre Eltern veranstalten daraufhin ein Turnier – dem Sieger ist die Hand der Prinzessin versprochen. Merida tritt kurzerhand selbst an und gewinnt. Dieses Verhalten stößt aber gerade bei der Mutter auf wenig Akzeptanz. Dazu Freiburg: „In dem Film wird das traditionelle Frauenbild ein wenig aufgebrochen. Später stellt sich heraus: Es ist gut so, wie Merida ist. Selbst die Mutter sieht das ein."

Männer reden mehr

Männliche Charaktere kommen in Filmen häufiger zu Wort als weibliche. Das ist spätestens seit dem Bechdel-Test (siehe Infokasten) bekannt. Um diese These auch für Disney-Filme zu beweisen, untersuchten die Linguisten Carmen Fougth und Karen Eisenhauer die Dialoge der Figuren. Für die Untersuchung wurden die Filme ausgewählt, in denen Frauen die tragende Rolle spielen (siehe Grafik).

Diese Grafik zeigt den Redeanteil von weiblichen und männlichen Figuren in Disney-Filmen. Untersucht worden sind die Filme, in denen ein weiblicher Charakter die Hauptrolle spielt. - © Jürgen Schultheiß
Diese Grafik zeigt den Redeanteil von weiblichen und männlichen Figuren in Disney-Filmen. Untersucht worden sind die Filme, in denen ein weiblicher Charakter die Hauptrolle spielt. | © Jürgen Schultheiß

Das Ergebnis: Von 1989 bis 1999 wurden die weiblichen Hauptcharaktere in ihrer Redezeit stark von der Männerwelt zurückgedrängt. Folglich wurde den Heldinnen mindestens eine männliche Figur zur Seite gestellt, um ihre Abenteuer erfolgreich meistern zu können. In Disney-Filmen mit männlichem Hauptcharakter fällt das Ungleichgewicht noch stärker aus: In „Aladdin" werden rund 90 Prozent aller Dialoge von Männern gesprochen.

Das Aussehen

Der Redeanteil von Frauen ist in vielen Disney-Filmen gering. Dafür lassen sie sich gut ansehen. Markante Gesichtszüge, dünne Taillen, Rundungen an den richtigen Stellen – „der Zuschauer bekommt vermittelt, er ist nur etwas Wert, wenn er so aussieht wie die Hauptcharaktere", sagt Freiburg. Das gelte ebenso für die schlanken und trainierten männlichen Charaktere.

Die Psychotherapeutin führt aus: „Das Thema Anorexie fängt bereits früh an. Auch Disney-Filme können darauf einen Einfluss habe. Die Wirkung auf Kinder ist nicht zu unterschätzen." Aber auch das Umfeld spiele eine entscheidende Rolle. „Ist das Kind gut gebaut und bekommt täglich gesagt, es sei zu dick, glaubt es das irgendwann auch. Dann sieht es noch die Filme, in denen die Prinzessinen alle dünne Taillen haben, und plötzlich will es abnehmen", erklärt die Verlerin.

Die Tragödien

Trotz aller (negativen) Einflüsse sind Disney-Filme in der Regel ohne Altersbeschränkung freigegeben. Und das, obwohl in manchen Filmen der kindliche Hauptcharakter von Elternteilen, sei es durch einen plötzlichen Tod, getrennt wird („Dumbo", „Der König der Löwen", „Bambi", „Findet Nemo"). „Wenn ich ein sehr sensibles Kind habe, ist eine solche Wendung krass. Teilweise bekommen Kinder diese Tragödien gar nicht richtig verpackt", erzählt Janina Freiburg. Auf diese Weise würden sie in existenzielle Themen hineingeraten, mit denen sie sich zuvor nie auseinandergesetzt haben.

„Ich glaube sogar, dass sensible Kinder plötzlich darüber nachdenken, dass ihnen ähnliches passieren kann. Das macht Angst." Schließlich seien Kinder bis zu einem gewissen Teil darauf angewiesen, von ihren Eltern versorgt zu werden. „Auf einmal geht es aber um Fragen der Existenz. Was passiert, wenn das alles wegbricht? Die Kinder machen sich Gedanken darum."

Versteckte Botschaften

„Die Botschaften, die sich hinter den einzelnen Filmen verbergen sind häufig positiv", sagt Freiburg. Bei „Die Schöne und das Biest" gehe es beispielsweise darum zu zeigen, dass nur innere Werte zählen. Der Film „Aladdin" mache deutlich, dass es im Leben nicht darum geht, woher eine Person kommt, sondern was sie erreichen will. „Viele der Filme vermitteln, dass es im Leben ohne Hilfe nicht geht. Die Protagonisten suchen sich Unterstützung, Leute die für sie einstehen", so die Psychotherapeutin. Ein solches Verhalten sei auch auf das echte Leben anzuwenden. „Es ist wichtig zu lernen, dass man sich Unterstützung sucht. Sogar Erwachsene können das nur selten. Indem man aber nach Hilfe fragt, kann man sich aus manchen Situationen heraushelfen. Die Symbolkraft dahinter ist klasse."

Dass es auch negative Botschaften gibt, zeige der Film „Arielle". Weil die Hauptfigur anstelle von Beinen eine Flosse hat, sucht sie Rat bei der bösen Meereshexe Ursula. Schließlich möchte Arielle an Land gehen, um den hübschen Prinzen Erik lieben zu lernen. Ein Vertrag mit der Hexe kommt zustande: Gibt Arielle ihre Stimme ab, lebt sie an Land glücklich in einer Beziehung mit dem Mann ihrer Träume. „Das ist eine krasse Botschaft. Nur wenn ich keine eigene Meinung habe, werde ich von einem Mann geliebt. Gleichzeitig werde ich auf den Körper reduziert."

Das Happy End

Disney-Filme haben eines gemein. Jede Geschichte geht für die Helden gut aus. „Symbolisch betrachtet sind Happy Ends etwas Gutes", sagt die Psychotherapeutin und ergänzt: „Die Disney-Filme zeigen: Man kann viele schlimme Dinge erleben und sich trotzdem aus so einer Situation befreien. Das ist ein tolles Zeichen." Nichtsdestotrotz seien die Enden der Filme oftmals „zu hoch gesetzt. Die Geschichten gehen richtig, richtig gut aus, ohne jeglichen Funken von Negativität. Die Realität sieht anders aus", so Freiburg. Arielle bekommt also den Prinzen. Aladdin schafft es in den Palast. Der Schuh von Cinderella passt. „Und dann leben alle für immer glücklich miteinander. Das entspricht aber nicht der Realität. Danach geht die Arbeit erst los."

Kinder würden erst später realisieren, dass auch weitere Herausforderungen warten. Außerdem würden die Ansprüche beim Nachwuchs wachsen. „Vom Tellerwäscher zum Millionär. Die Werdegänge sind in den Disney-Filmen teilweise zu extrem. Im echten Leben ist das nicht immer erreichbar.", sagt Freiburg. „Aber immerhin wird vermittelt, dass mit harter Arbeit und Einsatz vieles erreicht werden kann."

Tipp der Expertin

Die Expertin rät Eltern dazu, die Filme gemeinsam mit den Kindern anzuschauen. „Das Gesehene hat einen Einfluss darauf, wie wir die Welt sehen. Häufig hinterfragen wir das aber nicht." Für Eltern gehe es darum, bei Bedarf gesprächsbereit zu sein.


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