Bielefeld. Es sind Szenen wie die der Bundesliga-Partie zwischen Borussia Dortmund gegen Hertha BSC Berlin Ende Oktober, die Menschen ratlos den Kopf schütteln lassen. Bei dem Spiel hatten sich Berliner Fans eine Auseinandersetzung mit der Polizei geliefert. Mit Bengalos, Absperrgittern, abgebrochenen Fahnenstangen und abgetretenen Toilettentüren wurden die Beamten angegriffen. 45 Personen wurden verletzt. Unschöne Szenen, die offensichtlich immer mehr zunehmen.
Tausende Strafverfahren
Fakt ist: In der Saison 2017/18 wurden in der 1. und 2. Bundesliga sowie 3. Liga 1.213 Personen verletzt. In der Saison 2016/17 waren es noch 1.226. Das geht aus dem Jahresbericht der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) hervor. Demnach wurden 6.921 Strafverfahren eingeleitet. Knapp 1.000 weniger als im Vorjahr (8.023).
Dagegen ist die Zahl der eingeleiteten Verfahren gegen das Sprengstoffgesetz, unter das das Abfackeln von Bengalos fällt, gestiegen. In der Saison 2017/18 waren es 879 Verfahren. Das macht einen Anstieg zur Saison 2016/17 von rund 31 Prozent. Von den 1.213 Verletzten gehen 52 Verletzungen auf Pyrotechnik zurück.
Dass es zu Auseinandersetzungen zwischen Fans und Polizei kommt, habe verschiedene Gründe, sagt ein Ex-Ultra, der anonym bleiben möchte. Der Aussteiger kennt sich in der Szene bestens aus. Der gebürtige Berliner war selbst rund 15 Jahre Ultra bei Union Berlin. Besuchte jedes Heimspiel. Machte die Anfänge der Ultra-Gruppierung mit.
„Es gibt immer jemanden, der sich für seine Wahrheit und seine Vorstellungen stark machen will." Die einen wollen sich gegen den Kommerz im Fußball erheben. Andere Ultras fühlen sich durch strengere Vorschriften eingeengt, in ihrer Freiheit beraubt. Einige Fans stehen schlicht unter Alkoholeinfluss.
„Wer im Stadion zündelt, geht in den Knast"
Durch viele verschiedene Einflüsse entstehe eine Gruppendynamik, die sich dann hochschaukele. Darüber hinaus finden sich in der Ultra-Szene jegliche Gesellschaftsschichten wieder. Darunter auch Personen, die ausschließlich als gewaltsuchend eingestuft werden. Manchmal treffe laut dem Ex-Ultra die Schuld auch die Polizei, die zu voreilig oder zu hart vorgehe.
Gerade das Abfackeln der Bengalos und das Anzünden von Knallkörpern erhitzt die Gemüter der Fußball-Funktionäre und der Politiker. Zu gefährlich seien sie für die Gesundheit, zu groß die Angst vor einer Massenpanik, sagt Wolfgang Beus, bei der Pressestelle des NRW-Innenministeriums (IM) für Polizeiangelegenheiten zuständig. Für eine weitere Anfrage zum Vorwurf des Ex-Ultras, dass die Polizei teilweise falsche Strategien wählt, war das IM nicht mehr erreichbar. Hessens Innenminister Herbert Beuth fordert derweil härtere Strafen für Täter. „Wer im Stadion zündelt, geht in den Knast", sagt Beuth. „1.000 Grad heiße Pyros haben nichts mit Fankultur zu tun", betont er.
Auf einer Konferenz der Innenminister vor einigen Monaten stand das Thema Pyrotechnik ebenfalls im Fokus. Die Minister wollen härtere Bußgelder für das Abfackeln der Leuchtgeschosse verhängen. Auch eine Einstufung als Straftat soll geprüft werden, denn bislang gilt es nur als Ordnungswidrigkeit.
Pyro als Symbol des Widerstands gegen den Kommerz
Trotz des Verbots wird Pyro weiterhin von den Ultras eingesetzt. Zum einen ginge es laut Jonas Gabler um die Atmosphäre, zum anderen um Protest. „Mit dem zunehmenden Widerstand der Fans ist der Bengalo zum Symbol gegen die Kommerzialisierung geworden", sagt der Fan-Forscher der Kompetenzgruppe Fankulturen und sportbezogene soziale Arbeit (KoFaS).
Das Böller in anderen Blöcke eines Stadions gefeuert werden, kann selbst der ehemalige Union-Anhänger nicht nachvollziehen. „Das sind Einzelpersonen, oft alkoholisiert, die sich nicht im Griff haben", betont der gebürtige Berliner. „Bengalos sind weiterhin in erster Linie ein Stilmittel", sagt Gabler.
In einer Mitteilung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) von 2011 heißt es. „Oberste Priorität hat die Verantwortung für die Sicherheit aller Zuschauer. Es ist unstrittig, dass Feuerwerkskörper eine Gefahr für Leib und Leben darstellen." Damals versuchten Fans, Vereine und Verbände einen Kompromiss für das kontrollierte Abbrennen von Pyrotechnik zu finden. Vergebens. Seither gelten die Fronten zwischen Ultras und DFB als verhärtet, erklärt Gabler.
„Der Deutsche Fußball-Bund steht im regelmäßigen Austausch", heißt es in einer Mitteilung des DFB auf Anfrage der Neuen Westfälischen. Zusammen mit verschiedenen Fan-Organisationen habe man zuletzt einige Maßnahmen wie die Aussetzung von Kollektivstrafen, das klare Bekenntnis zum Erhalt der Stehplätze sowie die Pilotphase zur einheitlichen Freigabe von Fan-Utensilien umsetzen können.
Dennoch: Eine Entspannung des Verhältnisses zwischen Fans und Verband dürfte vorerst nicht zu erwarten sein, sagt der Ex-Ultra.