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Gütersloh

Gütersloher Familie kämpft gegen unwürdige Pflegesituation

Betreuung: Die Mutter von Andreas Radke lebte jahrelang auf einer Demenzstation. Nach ihrem Tod fasste er den Entschluss, sein Schweigen über Missstände in der Pflege zu brechen. Das Unternehmen widerspricht

Halten zusammen: Anke Radkes Vater Josef Nagelschmidt (Mitte) ist vor wenigen Tagen 80 Jahre alt geworden und ist froh, dass er von seiner Tochter und seinem Schwiegersohn zu Hause gepflegt wird. Andreas Radkes Mutter musste wegen Demenz ins Heim. | © Andreas Frücht

Halten zusammen: Anke Radkes Vater Josef Nagelschmidt (Mitte) ist vor wenigen Tagen 80 Jahre alt geworden und ist froh, dass er von seiner Tochter und seinem Schwiegersohn zu Hause gepflegt wird. Andreas Radkes Mutter musste wegen Demenz ins Heim. | © Andreas Frücht

20.01.2019 | 21.01.2019, 07:22

Gütersloh. Als seine Mutter zwischen Weihnachten und Neujahr starb, schloss sich für Andreas Radke ein Kapitel seines Lebens und ein anderes öffnete sich. „Ich möchte nicht mehr schweigen über das, was meine Frau und ich im Pflegeheim erlebt haben", sagt der 49-jährige Frührentner kämpferisch. „Unsere Kritik richtet sich gegen das System. Es geht um die Würde der alten Leute, die ihren Lebensabend in teils unwürdigen Verhältnissen verbringen müssen, hilflos und vollkommen vom Pflegepersonal abhängig."

So lange seine Mutter noch lebte, habe er sich gescheut, mit seinen Erfahrungen an die Öffentlichkeit zu gehen. „Wie viele andere Angehörige auch, hatte ich Sorge, dass meine Mutter dadurch irgendwelche Nachteile haben könnte", sagt der Verler. „Die erste Zeit war auch alles in Ordnung, als meine Mutter im Mai 2010 ihr Zimmer auf der Demenzstation im Gütersloher Kursana-Domizil bezog, hatte es gerade eröffnet. Aber vor etwa zweieinhalb Jahren trat eine Veränderung ein. Meiner Mutter mussten beide Beine amputiert werden, sie war jetzt bettlägerig und wurde immer ungepflegter."

Familie Radke berichtet von schlimmen Zuständen

Gemeinsam mit seiner Frau Anke berichtet Andreas Radke von seinen Beobachtungen: „Ihre Zahnprothese wurde nicht mehr gereinigt, der Toilettenstuhl war wegen ihrer offenen Stellen durch Wundliegen häufig blutverschmiert und sie rief uns in Panik an, weil sie niemand runterholte. Es gibt offenbar einfach zu wenig Personal, um sich um diese schwer pflegebedürftigen Menschen in ausreichendem Maße zu kümmern."

In einer Stellungnahme weist die Pressesprecherin der Kursana-Pflegeheime, die zur Dussmann-Gruppe mit Sitz in Berlin gehören, die Vorwürfe entschieden zurück. „Bei dieser Bewohnerin wurde die Grundpflege stets von zwei Pflegekräften zuverlässig durchgeführt. Jedoch hat die Bewohnerin die meisten pflegerischen Maßnahmen, auch jene, auf die sich die Vorwürfe beziehen, durch die Pflegekräfte abgelehnt und zum Teil selbst ausgeführt. Diese selbstbestimmten Entscheidungen müssen wir, nach dem Gesetz und auch ethisch, akzeptieren", sagt Michaela Mehls. „Die Vorwürfe zur Personalbesetzung sowie der Pflege und Betreuung der betreffenden Bewohnerin zu den Jahren 2015 bis 2018 haben uns sehr überrascht." Noch vor wenigen Wochen hätten sich die Angehörigen zufrieden mit Pflege und Beratung ihrer Mutter geäußert.

„Stimmt nicht", sagen die Radkes. „Wir hatten mehrere harte Gespräche mit der Heim- und Pflegedienstleitung und haben im Mai 2017 sogar die Heimaufsicht des Kreises zur Schlichtung hinzu gebeten. Die Einsicht war da – aber die Umsetzung fehlte", widerspricht Andreas Radke der Darstellung. Bei seinen Besuchen sei er immer wieder den Tränen nahe gewesen, „nicht nur, was meine eigene Mutter betraf, sondern auch die anderen Bewohner, die sich nicht mehr bewegen können und isoliert in ihren Zimmern liegen".

Gegendarstellung: „In den letzten zweieinhalb Jahren haben die Angehörigen keine Vorwürfe uns gegenüber geäußert, mit Ausnahme des Anlasses, der zur Prüfung durch die Heimaufsicht im Mai 2017 führte", sagt Mehls. Bei dieser Prüfung sei eine ausreichende Personalbesetzung bestätigt worden. Nach dieser Zeit habe es keine anlassbezogenen Prüfungen und auch keine Vorwürfe zur Personalbesetzung gegeben. „Alle Ablehnungen pflegerischer Maßnahmen sind in der elektronischen Pflegedokumentation erfasst. Seit der Heimaufsichtsprüfung 2017 wollte die Bewohnerin auch nicht mehr in den Regelprüfungen durch die Heimaufsicht begutachtet werden. In den letzten Jahren hatte sich ihre Wundsituation gut verbessert." Insgesamt 45 Beratungsgespräche habe man laut Mehls zwischen 2015 und 2018 geführt.

Schlechte Verhältnisse und hohe Kosten

Das Ehepaar Radke ist sich bewusst, dass die Mutter kein ganz einfacher Fall war. „Manches machte sie nicht mit, aber das rechtfertigt nicht, dass man diese Menschen sich selbst überlässt", sagt der Sohn. „Der Platz im Kursana kostete immerhin knapp 4.000 Euro im Monat – für solch eine Summer muss man sich doch besser um die alten Leute kümmern." Weil die Radkes in bescheidenen Verhältnissen leben, kam das Geld von der Pflegekasse und vom Sozialamt. Eigentlich könnte es ihnen also egal sein, trotzdem ärgern sie sich über das Prinzip „viel für wenig", wie sie es nennen.

Die Radkes betonen, dass sie sich nicht auf einem Rachefeldzug befinden – „aber wir wollen, dass sich in diesem Pflegesystem etwas verändert, ganz grundsätzlich. Mutti hatte ja noch uns – aber wie viele alte Menschen sind allein und hilflos im Pflegeheim?", fragt Anke Radke, deren Vater von den beiden zu Hause gepflegt wird. „Bei meiner Mutter war das wegen der Demenz leider nicht möglich und es hat mir das Herz gebrochen. Mein Trost ist, dass sie es jetzt hinter sich hat, dass es ihr jetzt besser geht", sagt Andreas Radke, bei dem schließlich ein Diebstahl das Fass zum Überlaufen brachte. „Nach ihrem Tod haben wir festgestellt, dass ihr Schmuck weg war, unter anderem die Eheringe." Michaela Mehls dazu: „Für ihre Wertgegenstände stellen wir unseren Bewohnern sowohl in ihren Zimmern als auch in unserer Verwaltung Möglichkeiten zur Verfügung, diese zu verschließen. Die Bewohnerin kehrte kurz vor ihrem Tod von einem Krankenhaus-Aufenthalt in unser Haus zurück. Wo und wann die Wertgegenstände abhandengekommen sind, können wir nicht beurteilen." Man habe Anzeige erstattet, die Ermittlungen laufen.

Für die Radkes kein wirklicher Trost: „Wir haben das jetzt in diesem Heim so erlebt, in vielen anderen Heimen ist es bestimmt nicht anders. Es geht nicht um die Menschen, es geht nur um die Rendite." Sie haben sich fest vorgenommen, das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen. „Unsere Hoffnung ist, dass sich eine kleine Interessensgemeinschaft gründet. Es geht schließlich auch um unsere Zukunft."