Paderborn. Priester, die eines Missbrauchs schuldig werden, brauchen nicht Strafe sondern Zuwendung – dafür plädiert der Paderborner Theologe und Psychoanalytiker Eugen Drewermann. Im Gespräch mit dieser Zeitung nennt er die Priester „Opfer einer Tragödie". Sie seien Gefangene der Triebdynamik ihres Unbewussten. Verantwortlich dafür sind laut Drewermann die Strukturen in der katholische Kirche.
Derzeit prüft die Paderborner Staatsanwaltschaft im Zuge der Missbrauchsstudie die Personalakten von zehn Geistlichen auf strafrechtliche Relevanz. Drewermann fordert ein Umdenken: „Sie brauchen dringend Hilfe, keine Strafanzeigen." Solche Menschen hätte ihre unbewussten Antriebe nicht im Griff, sie wollten nicht tun, was sich da abzeichne. Bei den Opfern sehe jeder die Hilfsbedürftigkeit sofort ein. Doch dass man es bei den Tätern auch einsähe, setze eine Änderung der Strafrechtsinterpretation voraus. Der Psychoanalytiker ist überzeugt: „Wir haben keine böswilligen Täter. Sie sind Opfer einer Biografie, die unglücklich und tragisch ist." Diese könne nur geändert werden, wenn den Betroffenen für lange Zeit Begleitung zur Verfügung gestellt werde.
Der katholischen Kirche in ihrem jetzigen Zustand bescheinigt Drewermann keine große Zukunft. „Sie wird von den Menschen in zentralen Punkten als falsch, desorientierend, hinderlich, lästig, überflüssig und unnütz empfunden", fasst er zusammen.
Drewermann erhebt schwere Vorwürfe gegen die katholische Kirche
Eine Schuld für diese Entwicklung sieht er im Zölibat. Die Kirche tue ja gerne so, als wäre der Zölibat nur eine Zusatzbedingung, die mit dem Amt verbunden sei. So ist es laut Drewermann aber nicht. Stattdessen habe man eine zielführende Pädagogik zur Voraussetzung, die es einem 18-bis 20-Jährigen überhaupt als sinnvoll erscheinen lasse, auf den Kontakt zu einer Frau sein Leben lang zu verzichten.
„Ich denke, es ist nicht allzu schwer, sich vorzustellen, dass Menschen, die das zu ihrem Ideal und ihrer Berufsvoraussetzung wählen, sonderbar groß geworden sein müssen." Die Kirche würde diese Sonderbarkeit in der Priesterausbildung sogar noch stabilisieren statt sie in Frage zu stellen. Dabei könnte daraus auch sexuelle Kriminalität entstehen. „Das hat die katholische Kirche zu verantworten, weil sie blind ist für die Voraussetzungen, die sie bei der Heranführung von jungen Männern zu Priestern zur Auflage macht", sagt Drewermann.
Viele Priester und Ordensleute gingen zur Psychotherapie, weil sie mit den Versuchungen nicht zurecht kämen. Doch wer eine normale Sexualität entwickle und sich zu seinen Gefühlen für eine Frau oder einen Mann bekennt, werde von der Kirche aus dem Beruf gejagt. „Schlimmer kann die Verweigerung, Menschen zu helfen, nicht ausfallen."
Die Kirche müsse die Einsichten der Psychotherapie in ihre Art, von Gott zu sprechen, einarbeiten, rät Drewermann. Sie müsse realisieren, dass das, was Jesus getan habe, die Heilung schwerer seelischer Krankheiten war. Aber sie sollte nicht die Strukturen schaffen, in denen seelische Krankheiten geradezu notwendig das Ergebnis sein müssen. „Der Zwangszölibat müsste dringend abgeschafft werden", so Drewermann.