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Bielefeld

Tag der Hebamme: OWL hat nicht mehr genug Geburtshelferinnen, um Frauen zu versorgen

Ein Text aus dem Jahr 2017, immer noch aktuell: Haftpflichtprämien und zu geringe Vergütungen zwingen den Berufsstand in die Knie - und junge Mütter müssen darunter leiden

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In guten Händen: Schwangere werden sich künftig nicht mehr darauf verlassen können, für die Vor- und Nachsorge eine Hebamme an ihrer Seite zu haben. | © dpa

In guten Händen: Schwangere werden sich künftig nicht mehr darauf verlassen können, für die Vor- und Nachsorge eine Hebamme an ihrer Seite zu haben. | © dpa

05.05.2018 | 05.05.2018, 10:36

Bielefeld. Fast 400 Frauen aus Bielefeld und dem Kreis Gütersloh haben im Jahr 2016 im Wochenbett keine Hebamme an ihrer Seite gehabt. Damit ist es da, das Szenario, mit dem Hebammenverbände seit Jahren drohen. Denn es gibt in OWL nicht mehr genug Hebammen, um Frauen vor, während und nach der Geburt zu versorgen.

1.087 Anfragen hatte die Hebammenzentrale für den Kreis Gütersloh und Bielefeld 2016 für eine Wochenbettbetreuung. 391 Absagen musste sie erteilen. Ein Drittel der Frauen konnten also keine Unterstützung für die Zeit nach der Geburt bekommen. Zum Vergleich: 2014 waren es 111 Absagen bei 838 Anfragen. 2012 waren es 50 Absagen bei 715 Anfragen.

Besorgt: Hebamme Barbara Blomeier, Vorsitzende des Landesverbandes NRW. - © Hebammenverband
Besorgt: Hebamme Barbara Blomeier, Vorsitzende des Landesverbandes NRW. | © Hebammenverband

"Das ist gravierend", sagt Birgit Harting. Zum einen, weil die Hebammenzentrale schon der Rettungsanker ist. Sie vermittelt Frauen an Hebammen, die noch Kapazitäten haben. Zum anderen, weil die Zahlen nur die Anfragen für das Wochenbett wiedergeben. "Geburtsvorbereitungs- oder Rückbildungskurse können wir gar nicht mehr vermitteln. Wir kriegen gar keine Angaben mehr von den Hebammen, weil das, was noch angeboten wird, ratzfatz direkt bei ihnen ausgebucht ist." Ganz zu schweigen davon, dass auch die Hebammenzentrale nicht mehr jeden Tag besetzt ist, weil es kein Personal mehr für die Telefonsprechstunden gibt.

"Jeden Tag sechs Absagen"

Auch aus anderen Kreisen melden Hebammen gravierende Unterversorgungen der Frauen. Sie ist aber nirgendwo so genau statistisch erfasst, wie in Bielefeld und dem Kreis Gütersloh, weil die anderen Kreise keine Hebammenzentralen haben. Trotzdem spiegelt sich der Mangel in der alltäglichen Arbeit genauso deutlich wieder: "Ich bekomme jeden Tag fünf oder sechs Anfragen von Frauen, denen ich absagen muss. Jeden Tag", sagt Daniela Wandel, Vorsitzende des Hebammen-Kreisverbandes Minden-Lübbecke. "Und bei meinen Kolleginnen sieht es nicht anders aus."

"Was jetzt passiert, ist das, wovon wir seit Jahren reden", sagt Barbara Blomeier, Vorsitzende des Landesverbands der Hebammen in NRW. Geringe Verdienste, exorbitant hohe Haftpflichtprämien und umfangreiche Arbeitszeiten sorgen dafür, dass sich immer mehr Geburtshelferinnen aus dem Beruf zurückziehen.

Für einen Geburtsvorbereitungskurs beispielsweise kann eine Hebamme 5,60 Euro brutto pro Stunde abrechnen. Für einen halbstündigen Hausbesuch einer Wöchnerin bekommt sie 26 Euro, Anfahrtswege werden mit 35 Cent pro Kilometer vergütet. Für eine Geburt im Kreißsaal, egal, wie lange sie dauert, erhält die Hebamme 220 Euro. Demgegenüber stehen Haftpflichtgebühren von 6.500 Euro im Jahr für die Absicherung von Geburtshilfe.

Gesundheit von Mutter und Kind gefährdet

Was es für Mutter und Kind im Wochenbett bedeutet, keine Hebamme mehr an ihrer Seite zu haben, mögen sich Fachleute und Frauen, die schon ein Baby bekommen haben, gar nicht ausmalen. Denn das, was die Hebamme leistet, ist kein Extra-Chi-Chi oder Wellness, sondern zwingend notwendige, von der gesetzlichen Krankenkasse gezahlte medizinische Kontrolle, ob es Mutter und Kind gut geht: Bildet sich die Gebärmutter gut zurück, nimmt das Kind genug zu, läuft der Milchfluss?

Ist keine Hebamme da, müssten Mutter und Kind regelmäßig aus dem Haus, zum Gynäkologen und zum Kinderarzt. "Das ist nach einer Geburt schon anstrengend genug. Kommen dann noch Komplikationen wie Brustentzündungen, Fieber, entzündete Kaiserschnittnarben dazu, wird es dramatisch", sagt Blomeier. "Zumal ja nicht alle Frauen jemanden haben, der sie fährt oder den Arzt gleich nebenan haben."

Gynäkologe Rolf Englisch, Vorsitzender des Landesverbandes der Frauenärzte Westfalen-Lippe hat noch ganz andere Bedenken: "Wenn Kinder- und Frauenärzte die Untersuchungen machen müssen, die bislang die Hebammen geleistet haben - wer soll dieses zusätzliche Arbeitspensum auffangen?"

Auch Versorgung in den Kreißsälen schlecht

Doch nicht nur vor und nach der Geburt, auch währenddessen wird die Versorgungslage immer schlechter. Das betrifft schon die Anzahl der Geburtskliniken. 63 Entbindungsstationen wurden nach Angaben der Krankenhausgesellschaft NRW (KGNW) in NRW seit 2003 geschlossen, sechs davon in OWL.

In den Kliniken herrscht Personalmangel, vielen Hebammen reicht die Absicherung durch die Festanstellung nicht aus, um die Arbeitsbedingungen in Kauf zu nehmen. "Wir wissen, dass es vielerorts Standard ist, dass Hebammen allein drei oder gar fünf Geburten betreuen müssen", so Blomeier. "Das sind keine Zustände."

Eine, die mit 38 Berufsjahren genau weiß, wie sich all diese Szenarien und Zahlen im praktischen Alltag niederschlagen, ist die Hebamme Andrea Rautenberg aus Borgentreich im Kreis Höxter. Sie hat lange als angestellte Hebamme in Düsseldorf und Bielefeld gearbeitet, mittlerweile betreut sie Frauen selbständig im Kreis Höxter bei der Vor- und Nachsorge. Und sie weiß: "Die Minderversorgung hier auf dem Land ist mittlerweile so groß, dass es für die Frauen wieder ein Risiko darstellt, schwanger zu werden."

Bis zu 50 Kilometer müssten die Frauen im Extremfall zurücklegen, um medizinische Hilfe zu bekommen. "Jetzt hatten wir hier wochenlang Minusgrade mit Glätte, Eis und Schnee. Und die einzigen Geburtskliniken sind in Kassel, Höxter oder Paderborn. Da müssen Sie aus Warburg aber erstmal hinkommen."

"Schwangerschaft ist wieder ein Risiko"

Doch nicht nur die Patientinnen sind benachteiligt. Auch Hebammen müssen sich auf dem Land weit mehr abstrampeln, um auf ihre Kosten zu kommen. "Wenn ich Kurse gebe, dann macht's nur die Masse. Das ist auf dem Land eh schon schwierig. Und selbst bei einem voll ausgebuchten Rückbildungskurs stehe ich nach 10 Wochen Kursdauer mit einem Gehalt von 350 Euro da. Dafür stellt sich kein Handwerker hin."

Ein weiteres Problem: Von der Krankenkasse bekommt Rautenberg einen Radius von 20 Kilometern Wirkungskreis zugewiesen, innerhalb dessen sie Kilometergeld abrechnen kann. "Damit komme ich im Kreis Höxter aber nicht aus. Da ist dann viel Feld und Wald - aber keine Patientin."

Dass es für die fest angestellten Hebammen in den Entbindungsstationen auch nicht einfacher ist, weiß Rautenberg aus eigener Erfahrung. Jahrelang hat sie Schichtdienste geschoben, regelmäßig zwei bis drei Geburten gleichzeitig betreut. "Damit ist es in so einem Schichtdienst ja aber nicht getan. Da musst du noch das Telefon und die Türklingel betreuen, dokumentieren und weibliche Patienten aus der Ambulanz betreuen."

Die Grafik zeigt die Anzahl der Hebammen und Entbindungspfleger in Krankenhäusern:Infografik: Schwierige Berufssituation für Hebammen | Statista Mehr Statistiken finden Sie bei Statista

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text stammt aus dem Jahr 2017, aufgrund der weiterhin bestehenden Problematik um den Mangel an Hebammen bringen wir ihn zum Tag der Hebamme 2018 erneut. Inzwischen erhalten die Hebammen zwar Zuschüsse für ihre Versicherungen, diese sind jedoch relativ gering.


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