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Brandanschlag auf Obdachlosen: Haftstrafe für Hauptangeklagten

Gericht geht nicht von versuchtem Mord aus

Zwei der sechs Angeklagten (links und 2.v.r.) mit ihren Anwälten. | © picture alliance / Monika Skolimowska/dpa

Zwei der sechs Angeklagten (links und 2.v.r.) mit ihren Anwälten. | © picture alliance / Monika Skolimowska/dpa

13.06.2017 | 13.06.2017, 16:57

Berlin (dpa). Der schmächtige Mann mit den dunklen Haaren blickt im Saal B129 des Berliner Landgerichts betreten zu Boden. Knapp ein halbes Jahr nach der Feuerattacke gegen einen schlafenden Obdachlosen hat er am Dienstag eine Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten kassiert. Zu der Tat in der Weihnachtsnacht 2016, die ganz Deutschland erschütterte, sagt Richterin Regina Alex im Urteil: „Es gibt kein Motiv, sie haben sich gelangweilt."

Fünf Mitangeklagte im Alter von 16 bis 19 Jahren bekommen Bewährungsstrafen wegen Beihilfe sowie vierwöchigen Jugendarrest wegen unterlassener Hilfeleistung. Ein siebter war schon zuvor zu zweiwöchigem Jugendarrest verurteilt worden. Nur der 21-Jährige wird nach Erwachsenen-Strafrecht verurteilt und bleibt hinter Gittern.

Die jungen Männer aus Syrien und Libyen hätten sich nur flüchtig gekannt, heißt es im Urteil. Der 21-Jährige habe an dem Abend den „großen Macker und Alleinunterhalter" gegeben, sagt die Richterin. Als er ein brennendes Taschentuch neben den Kopf des Obdachlosen im Kreuzberger U-Bahnhof Schönleinstraße legte, habe er „Verletzungswillen" gehabt. „Jeder weiß um die Gefährlichkeit von Feuer." Drei junge Männer leisteten laut Urteil psychische Beihilfe. Ohne die Zuschauer wäre es demnach wohl nicht zu dem Angriff gekommen.

Obdachloser blieb unverletzt, weil Fahrgäste das Feuer löschten

„Es war eine sehr gefährliche, eine bösartige Tat. Das Opfer war eines der schwächsten Mitglieder der Gesellschaft", so Richterin Alex. Sein Rucksack, auf dem er lag, brannte schon. Doch der ahnungslose Mann aus Polen blieb unverletzt. Fahrgäste einer gerade einfahrenden Bahn löschten die Flammen.

Die große Frage des Prozesses war: Versuchte Tötung oder nicht? Angeklagt war gemeinschaftlicher versuchter Mord. Doch der Vorwurf ließ sich nach Ansicht des Gerichts nicht halten. Der Hauptangeklagte bekam seine Strafe nun wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung - was juristisch nicht so schwer wiegt wie ein Mordversuch. Alle sechs hatten im Prozess einen Tötungsversuch bestritten.

Für die Staatsanwaltschaft dürfte das Urteil eine herbe Schlappe sein. Sie hatte sich auf verschiedene Perspektiven aus Videokameras gestützt. Für den Haupttäter hatte die Anklagebehörde eine Haftstrafe von vier Jahren wegen versuchten Mordes gefordert. Die Behörde will eine Revision prüfen.

"Was mit dem Opfer geschah, war ihnen egal"

Staatsanwalt Martin Glage hatte zum Prozessauftakt betont, die jungen Männer hätten billigend in Kauf genommen, dass der damals 37-Jährige hätte „qualvoll verbrennen" können. Eine geplante Tötung schloss er zwar aus. Doch: „Sie haben die Tat relativ gelassen durchgeführt. Was mit dem Opfer geschah, war ihnen egal", hatte Glage in seinem Plädoyer betont. Die Männer hatten sich die Kapuzen über ihre Köpfe gezogen und waren vom Tatort geflüchtet.

Die Verteidiger der Angeklagten waren der Ansicht, es sei in der Öffentlichkeit ein nicht zutreffendes Bild gezeichnet worden. Es habe keine lebensgefährliche Tat gegeben. Einer der Anwälte sprach von jugendlichem Imponiergehabe. „Keiner findet das gut, was da geschah - wir urteilen aber nicht über Moral" - sagt der Anwalt eines 17-Jährigen, der kein Feuer gesehen haben will.

Es gab auch Kritik an den Ermittlungen der Mordkommission. Alle Verdächtigen machten bei der Polizei Angaben. Doch es kam zu einer Panne: Die Aussagen von vier Angeklagten waren im Prozess nicht verwertbar. Die Beschuldigten waren laut Gericht nicht ausreichend über ihre Rechte belehrt worden.

Kein Einzelfall

Verteidiger Alexander Wendt, der den Haupttäter vertritt, hatte eingeräumt: „Was im Bahnhof geschah, hat ein verheerendes Schlaglicht auf Flüchtlinge geworfen." Die meisten sollen als minderjährige Flüchtlinge allein nach Deutschland gekommen sein - ihre Eltern hätten sie aus Angst, sie könnten in Syrien zum Militärdienst eingezogen werden, auf die Flucht geschickt, erklärten sie im Verfahren.

Schnell hatte die Polizei nach dem Angriff Fotos und ein Video der Tat veröffentlicht. Wenig später stellten sich die meisten Verdächtigen, einer wurde festgenommen. Seit Ende Dezember saßen die sechs in U-Haft.

Der Angriff auf den Obdachlosen war kein Einzelfall. Im April wurde in Hamburg der Schlafsack eines 49-Jährigen unter freiem Himmel angezündet. Ebenfalls dort wurde im Februar die Schlafstätte von zwei wohnungslosen Männern in einem Parkhaus in Brand gesteckt.

Die Hemmschwelle für Gewalttaten sinke, beklagt am Dienstag erneut die Gewerkschaft der Polizei. Ohne Rücksicht auf Leben und Gesundheit würden zunehmend Polizisten und Rettungskräfte attackiert, sagt Rüdiger Holeck für die Gewerkschaft bei „n-tv". Dort appelliert der Sozialpädagoge Thomas Sonnenburg, der „punktuellen Zunahme" von Gewalt müsse entgegengetreten werden. Viele junge Menschen langweilten sich und wüssten nichts mit ihrer Zeit anzufangen.