1. Lifestyle
  2. Medien
  3. "Wie es wirklich war": Russland plant eigene Tschernobyl-Serie

TV & Film

"Wie es wirklich war": Russland plant eigene Tschernobyl-Serie

Eine russische Partei will die Ausstrahlung sogar verbieten - dabei findet sie bei vielen russischen Zuschauern positive Resonanz

Kommentare
Die TV-Serie wurde zum Hit. Auch in Russland kommt "Chernobyl" durchaus an - aber nicht bei staatlichen Institutionen. | © Sky/HBO

Die TV-Serie wurde zum Hit. Auch in Russland kommt "Chernobyl" durchaus an - aber nicht bei staatlichen Institutionen. | © Sky/HBO

18.06.2019 | 18.06.2019, 10:11

Die Sky/HBO-Serie "Chernobyl" gehört zu den aufsehenerregenderen TV-Ereignissen der jüngeren Vergangenheit. Im Netz wurde sie zeitweise besser bewertet als "Game of Thrones" oder "Breaking Bad". Ein russischer TV-Sender arbeitet Medienberichten zufolge jetzt an einer eigenen Version, die die Ereignisse vor und nach dem 26. April 1986 anders darstellen soll.

Mehreren Medienberichten zufolge, darunter Hollywood Reporter und The Guardian, arbeitet der Sender NTV derzeit an einer Serie über das Reaktorunglück in der heutigen Ukraine. Während sich die HBO-Produktion vor allem um die Rolle der sowjetischen Regierung, die mangelnde Transparenz und die schleppende Aufarbeitung dreht, soll die russische Produktion KGB-Agenten auf der Suche nach einem CIA-Spion porträtieren, der sich zum Zeitpunkt des Unglücks in Pripyat nahe dem Reaktor aufgehalten haben soll.

Verschwörungstheorie als Grundlage

Der Sender NTV gehört zu Gazprom Media, dem Medienarm des staatlichen Energieversorgers, und ist für Kreml-nahes Fernsehen bekannt. Der Regisseur der russischen Tschernobyl-Serie, Alexey Muradov, sagte gegenüber russischen Medien, er wolle den Zuschauern erzählen, "was damals wirklich passiert ist".

Es gebe eine Theorie, nach der sich zum Zeitpunkt des Unglücks ein US-Agent in Tschernobyl befunden habe, der Informationen über das Atomkraftwerk sammeln wollte. "Viele Wissenschaftler streiten das nicht ab", sagte Muradov dem populären russischen Boulevard-Blatt Komsomolskaya Pravda. Die Geschichte gilt als Verschwörungstheorie.

Staatliche Medien erbost, russische Zuschauer weniger

Craig Mazin, Drehbuchautor von "Chernobyl" rief Touristen auf, sich am Ort des Unglücks respektvoll zu verhalten. In Russland verlangen Politiker ein Verbot seiner Serie. - © picture alliance/AP Images
Craig Mazin, Drehbuchautor von "Chernobyl" rief Touristen auf, sich am Ort des Unglücks respektvoll zu verhalten. In Russland verlangen Politiker ein Verbot seiner Serie. | © picture alliance/AP Images

Mehrere staatliche Medien und Zeitungen werfen den Machern der HBO-Serie vor, das Unglück in Tschernobyl bewusst falsch darzustellen. Die Partei "Kommunisten Russlands" (nicht die Kommunistische Partei) drohte, die Serienmacher um Craig Mazin deswegen zu verklagen und die Ausstrahlung der Serie zu verbieten.

Etlichen russischen Zuschauern allerdings gefiel die amerikanische Serie, die einen Tourismus-Boom ausgelöst hat. Anders als die kritischen Kommentatoren loben sie den hohen Detailgrad, mit dem das Leben in der Sowjetrepublik reproduziert worden sei. Die Macher sprachen nach eigenen Angaben mit Dutzenden Betroffenen, um das zu erreichen.

Ungenauigkeiten in der HBO-Serie

Dennoch ist die Produktion nicht frei von historischen Ungenauigkeiten, wie die russisch-amerikanische Autorin Masha Gessen im New Yorker schreibt. Sie kritisiert vor allem mehrere hollywoodeske Momente, in denen sich "heldenhafte" Wissenschaftler gegen staatliche Bürokraten erheben und ihnen ihre Ignoranz vorhalten. Das sei undenkbar gewesen, vielmehr habe "Resignation das sowjetische Leben definiert".

Das Atomkraftwerk heute - mit frisch übergestülptem Sarkophag, der die Strahlung begrenzen soll. - © AFP
Das Atomkraftwerk heute - mit frisch übergestülptem Sarkophag, der die Strahlung begrenzen soll. | © AFP

Trotzdem gebe es Szenen, die die Verhältnisse "brilliant" einfingen - zum Beispiel wenn der Stadtrat von Pripyat kurz nach der Katastrophe den Funktionären erklärt, warum man die Telefonleitungen kappen und die Stadt abriegeln solle: "Damit sich die Menschen nicht um die Früchte ihrer Arbeit bringen." Die Verachtung menschlichen Lebens sei ebenso charakteristisch für den Umgang Sowjetrusslands mit seinem Volk.

Ein wunder Punkt in der russischen Seele?

Womöglich geht es bei der Kritik des russischen Staatsapparats aber noch um etwas anderes. Der russische Journalist Ilya Sherbelin schreibt in der Moscow Times, dass die Serie offenbar einen wunden Punkt getroffen hat. "Die Tatsache, dass ein amerikanischer und kein russischer Sender uns von unseren eigenen Helden erzählt, ist eine Schande, die die Pro-Kreml-Medien nicht vergessen machen können. Das ist der wahre Grund, warum sie die Serie kritisieren."

Die russische Serie soll bereits abgedreht sein und befindet sich in der Post-Produktion. Finanziert wurde sie teilweise mit Mitteln aus dem russischen Kulturministerium. Ein Erscheinungsdatum ist noch nicht bekannt.

Der Trailer zur HBO-Serie:


Kommentare

Unsere neue Kommentarfunktion

Entdecken Sie jetzt unsere verbesserte Kommentarfunktion - nur ein Klick und Sie können starten! Ihre bisherigen Kommentare sind selbstverständlich weiterhin verfügbar.