Bielefelderin hängt tagelang in Istanbul fest

Bielefeld. Es sollte ein eigentlich ein schöner, entspannender Urlaub werden. Ein Geschenk zum bestandenen Examen als Altenpflegerin von ihrem Freund Volker Exner (62) und dessen Lebenspartnerin. Doch aus dem Kurztrip über Ostern in Fehime Yilmaz' Traumstadt Istanbul wurde unversehens ein Albtraum. Im Gedränge im Bus wurde der jungen Frau das Portemonnaie gestohlen: Bankkarte und Geld, Führerschein, Krankenversicherungsausweis und die unbegrenzte Niederlassungserlaubnis für Deutschland, die sie wie viele Deutschtürken statt eines deutschen Passes hat - alles weg. Tagelang schwebte die junge Deutschtürkin im Ungewissen, unter Schock und auf Hilfe anderer angewiesen. Das Erlebte wird die 25-jährige Altenpflegerin so schnell wohl nicht vergessen können. Ein Erfahrungsbericht: Mittwoch, 17. April Abflugtag. "Istanbul ist eine meiner Lieblingsstädte", erzählt die gebürtige Gütersloherin, die in Rietberg aufgewachsen ist. "Man entdeckt dort jedes Mal etwas Neues." Über den geschenkten Istanbul-Tripp freut sie sich riesig. Exners Lebenspartnerin begleitet sie. Fehime Yilmaz möchte der Freundin "ihr" Istanbul zeigen. Am ersten Abend und am nächsten Tag besichtigen sie die Innenstadt und das Taxim-Vierteln . Karfreitag, 19. April "Am dritten Tag sind wir nach Ortaköy gefahren", erinnert sich Yilmaz, noch im Nachhinein begeistert. "Wir haben Gewürze gekauft, Teesorten durchprobiert, viele Fotos geschossen." Dann, eingequetscht im Bus, spürt die junge Frau plötzlich, dass sie von hinten geschubst wird. "Ich habe gleich gedacht, irgendwas stimmt nicht." Draußen bewahrheitet sich ihre schlimme Befürchtung: Ihr Portemonnaie ist weg. Ein Polizist schickt sie zur Polizeistation, die Beamten dort wiederum zu einer anderen Station. Dort rät man ihr, sich ans deutsche Konsulat zu wenden. Samstag, 20. April Dort stehen die beiden Frauen am nächsten Tag vor geschlossener Tür. "Ich habe parallel versucht, bei einer Notrufnummer Hilfe zu bekommen", erzählt Fehime Yilmaz. "Sie haben irgendwas von Idata gesagt." Außerdem kontaktiert sie Volker Exner in Deutschland, der verspricht zu helfen, wo er kann. Und der an den folgenden Tagen immer wieder Geld schickt, damit sie in Istanbul das Nötigste bezahlen kann. Ostern, 21. und 22. April Ostersonntag und -montag bleibt das Konsulat ebenfalls zu. Im Vertrauen darauf, dass man ihr dort gleichwohl schnell hilft, sobald die Feiertage vorbei sind, verabschiedet sich die junge Frau von ihrer Freundin, die nach Deutschland zurückfliegt. Zwei Bekannte von ihr in Istanbul, Adem Nar und Ugur Büyük, überlassen ihr für wenig Geld ein Appartement. Sie verschiebt ihren Flug, denn ohne ihre Aufenthaltserlaubnis - die aussieht wie der plastiküberzogene deutsche Personalausweis, inklusive Lichtbild - darf sie nicht in Deutschland einreisen. Dienstag, 23. April Auch heute kommt Fehime Yilmaz keinen Schritt weiter. In der Türkei ist der Tag des türkischen Kinderfestes. Der türkische Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk hat ihn allen Kindern in der Welt gewidmet. Und natürlich ist auch die deutsche Botschaft geschlossen. "Es gab nicht einmal eine Notstelle, die einem helfen konnte", sagt Fehime Yilmaz, immer noch fassungslos. Mittwoch, 24. April Im deutschen Konsulat, heute endlich geöffnet, bekommt die junge Frau eine Telefonnummer von iDATA, der offiziellen Annahmestelle für Visumsanträge nach Deutschland in der Türkei. Denn auch wenn sie in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und dort arbeitet - sie hat keinen deutschen Pass. Also ist das Konsulat auch nicht zuständig. An der Information wird ihr gesagt, sie solle sich einen Termin übers Internet holen. "Aber das hatte ich ja nicht, ich hatte ja nur ein Handy mit deutschem Netz." Schließlich hilft ihr eine Mitarbeiterin. Die 7 Euro für die Terminvergabe übernehmen ihre türkischen Bekannten, die sie in den nächsten Tagen auch mit Roller oder Auto von A nach B bringen. Donnerstag, 25. April Im deutschen Konsulat legt Fehime Yilmaz diverse Unterlagen vor, darunter den Diebstahlsbericht der Polizei mit Übersetzung. Den Termin hatte sie tags zuvor kurzfristig bekommen. Nun hofft sie, dass ihr schnell ein Visum für einen 90-tägigen Aufenthalt in Deutschland ausgestellt wird. Prompt fehlt etwas: Sie hat kein biometrisches Foto dabei und auch keine Aufstellung ihrer türkischen Ein- und Ausreisen. "Das wurde mir nicht gesagt, ich wusste es nicht." Sie bekommt "aus Kulanz" einen weiteren Termin eine Stunde späten. Mit Ugur Büyük schlängelt sie sich auf dem Roller durch den dicksten Istanbuler Stadtverkehr, um das Fehlende zu besorgen. Zurück im Konsulat muss sie dann auch noch ihren türkischen Pass abgeben. "Ich hatte mir vorsichtshalber eine Kopie gemacht, sonst hätte ich gar nichts mehr gehabt, mit dem ich mich ausweisen kann." Und das muss sie, um etwa bei Western Union das Geld abzuholen, das ihr Volker Exner schickt. Der bemüht sich parallel im Bielefelder Ausländeramt, dass man dort die ebenfalls notwendige "Voraberlaubnis" schnell in die Türkei faxt. Den Rückflug verschiebt sie erneut, auf den 3. Mai. Und das ist gut so. Denn die Bearbeitung des Visum-Antrags dauert fünf Tage. Weitere Zeit, die die junge Frau im Ungewissen, hin- und hergerissen zwischen Angst und Hoffnung, verbringt. Freitag, 3. Mai Ugur Büyük bringt Fehime Yilmaz zum Flughafen. Mit den Nerven fertig, aber glücklich, wieder in Deutschland zu sein, geht sie am Kölner Flughafen zur Passkontrolle. Der Polizist dort behandelt sie kühl, "unfreundlich und richtig abwertend. Ich habe geheult, als ich auf meinen Koffer gewartet habe". Aber dann hat sie noch einmal Glück. In der Halle holt sie ein Freund ab und bringt sie zurück nach Bielefeld. Montag, 6. Mai Zurück am Arbeitsplatz, in die Ravensberger Seniorenresidenz: Das fühlt sich fast ein wenig unwirklich an. Nachmittags geht Fehime Yilmaz zur Ausländerbehörde. "Ich muss ja die Aufenthaltserlaubnis wieder beantragen." Sie soll Donnerstag wiederkommen. Donnerstag, 9. Mai In der Ausländerbehörde ist es wieder sehr voll. Diesmal bekommt die junge Frau einen festen Termin: Mittwoch, 29. Mai, 9 Uhr. Ende Juli läuft ihr Visum ab. Bis dahin, hofft sie nun, hat sie auch ihre Genehmigung wieder. Und was denkt sie im Nachhinein über all das, was sie in den vergangenen Tagen durchgemacht hat? "Wenn ich das Netz an Freunden und Unterstützern nicht gehabt hätte, dann hätte ich das nie geschafft", meint sie als erstes. Und: "Ich habe auch viel Positives erfahren, nicht nur Negatives. Und Positives zieht Positives an, auch in einem solchen Unglück." Einen deutschen Pass beantragen möchte sie aber auch nach all dem Erlebten nicht, dann müsste sie ihren türkischen abgeben. Ihre Heimat seien beide Länder, in beiden habe sie Freunde und Verwandte: "Ich bin Deutschtürkin. Ich wollte immer die Doppelstaatsbürgerschaft." Und Istanbul? Das bleibt ihre Traumstadt.

Bielefeld

Bielefelderin steckt wochenlang in Istanbul fest

Meistgelesen

Kommentare

Bielefeld Bielefelderin steckt wochenlang in Istanbul fest

Meistgelesen

Kommentare

Bielefeld

Bielefelderin steckt wochenlang in Istanbul fest