1. Lokalnachrichten
  2. Kreis Lippe
  3. Lügde
  4. U-Ausschuss zum Missbrauchsskandal von Lügde soll kommen

Lügde

U-Ausschuss zum Missbrauchsskandal von Lügde kommt

Die SPD will im Landtag einen entsprechenden Antrag stellen. Außerdem streben die Sozialdemokraten eine Kommission an, die ein Konzept für einen besseren Kinderschutz erarbeiten soll

Der Parzelle des mutmaßlichen Täters im Missbrauchsfall Lügde ist mittlerweile komplett abgerissen. | © picture alliance/dpa

Der Parzelle des mutmaßlichen Täters im Missbrauchsfall Lügde ist mittlerweile komplett abgerissen. | © picture alliance/dpa

21.05.2019 | 21.05.2019, 20:17

Düsseldorf. Der NRW-Landtag wird das Behördenversagen im Fall des massenhaften Kindesmissbrauchs von Lügde in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) aufarbeiten. SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty kündigte jetzt an, seine Fraktion werde einen entsprechenden Antrag im Landtag stellen, sobald das Detmolder Landgericht die Anklagen gegen die Hauptbeschuldigten des Missbrauchsfall zugelassen habe.

Kommentar der Redaktion

Zu kurz gesprungen

Von Lothar Schmalen, Düsseldorf

Bei dem Kindesmissbrauchsfall von Lügde handelt es sich nicht nur um ein in seiner Dimension einzigartiges Verbrechen in der Geschichte von Nordrhein-Westfalen. Die monströsen Taten auf dem Campingplatz in Lippe waren und sind auch begleitet und begünstigt von skandalösen Vorgängen bei Polizei und Behörden.
Mit der strafrechtlichen Aufarbeitung der schlimmen Taten der Beschuldigten wird sich in Kürze das Detmolder Landgericht befassen. Es wird die Täter ihrer gerechten Strafe zuführen und dabei die jungen Opfer hoffentlich so schonend wie nur irgendmöglich behandeln.
Für die Aufarbeitung der skandalösen Begleitumstände dieses Verbrechens ist neben der Justiz, die sich wohl auch mit Polizeibeamten und Jugendamtsmitarbeitern befassen muss, vor allem die Politik zuständig. Deshalb ist es richtig, dass die Landtage in Düsseldorf und Hannover Kommissionen und Ausschüsse einsetzen, die der Verantwortung für das Behördenversagen auf den Grund gehen sollen und gleichzeitig aber auch Konsequenzen aus den Fehlleistungen von Polizei und Jugendämtern ableiten sollen. Am Ende muss gesichert sein, dass Polizei und Jugendbehörden die bedrohten Kinder und Jugendlichen besser schützen als bisher.
Dass die SPD-Landtagsfraktion den angestrebten Untersuchungsausschuss auf die Fehler der Polizei und damit auf die Frage verengen will, welche Verantwortung Innenminister Herbert Reul (CDU) trägt, ist zu kurz gesprungen. Der Frage nachzugehen, ob Reul und sein Innenministerium den Fall Lügde zu lange unterschätzt haben, ist sicher berechtigt. Aber das Verhalten und die schlechte Zusammenarbeit der beteiligten Jugendämter sind mindestens so kritikwürdig wie die Fehler der Polizei. Zumal die Fehler von Polizei und Jugendämter teilweise auch zusammenhängen. Und Fehler gab es auf jeden Fall auch in Jugendschutzbehörden des Landes NRW. Schließlich ermittelt die Staatsanwaltschaft auch gegen mindestens eine Mitarbeiterin des Jugendamtes Lippe.
Deshalb gehören in den Fokus des parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Düsseldorf Innenministerium, Polizei und Jugendbehörden.

Die Stimmen der SPD im Landtag reichen für die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses aus.Gleichwohl wollen auch Grüne und AfD einen solchen Ausschuss. Einen entsprechenden Antrag hatte die AfD-Fraktion bereits im April in den Landtag eingebracht und will sie auch in dieser Woche wieder im Landtag stellen, wie ihr Fraktionsvorsitzender Markus Wagner (Bad Oeynhausen) ankündigte. SPD und Grüne wollen dem Antrag aber nicht zustimmen, sie halten den Zeitpunkt noch nicht für gekommen. Die Stimmen der AfD alleine reichen nicht aus, um einen PUA durchzusetzen.

SPD und Grüne uneins

Doch auch zwischen SPD und Grünen gibt es Meinungsverschiedenheiten. Die Grünen wollen sowohl das Polizeiversagen als auch die Fehler der beteiligten Jugendämter zum Thema des Untersuchungsausschuss machen. Die SPD will sich dagegen auf die Fehler der Polizei beschränken. Das Verhalten der Jugendämter soll nach ihrem Willen in einer fraktionsübergreifenden Kinderschutzkommission thematisiert werden. Dabei solle aber, so Kutschaty, im Mittelpunkt stehen, wie der Kinder-und Jugendschutz künftig in NRW organisiert werden soll, um Kinder und Jugendliche besser vor sexuellem Missbrauch zu schützen.

Auch der niedersächsische Landtag will den Kindesmissbrauch von Lügde aufarbeiten. Der Campingplatz, auf dem mindestens 41 Kinder und Jugendliche missbraucht wurden, liegt unmittelbar an der Landesgrenze, viele der Opfer stammen aus Niedersachsen. Gegen das Jugendamt des niedersächsischen Kreises Hameln-Pyrmont werden schwere Vorwürfe erhoben, unter anderem weil es ein Mädchen in der vermüllten Unterkunft des Hauptbeschuldigten, ein arbeitsloser Dauercamper, untergebracht hatte und das Mädchen trotz mehrerer Hinweise auf Kindeswohlgefährdung nicht anderswo unterbrachte. Unklar ist noch, ob es im Landtag in Hannover eine Kinderschutz-Kommission, ähnlich wie die, die der SPD vorschwebt, oder einen Untersuchungsausschuss geben wird.

Auf einem Campingplatz im lippischen Lügde soll ein 56 Jahre alter arbeitsloser Dauercamper mit einem 34-jährigen Komplizen über Jahre hinweg mehr als 40 Kinder missbraucht und dabei gefilmt haben. Die Anklagen gegen den 56-Jährigen und einen dritten Beschuldigten (49) aus Stade in Niedersachsen liegen vor. Die Klageschrift gegen den

34-Jährigen wird noch erwartet.

Antrag wird wohl im Juni gestellt

Seit Wochen werfen die Oppositionsparteien SPD und Grüne
Innenminister Herbert Reul (CDU) vor, das Ausmaß des Missbrauchsfalls zu spät erkannt zu haben. «Bisher hat er keinen einzigen Beitrag zur Aufklärung geleistet», sagte Kutschaty. Der Innenminister sei nur noch mit Selbstverteidigung beschäftigt.

Kutschaty sagte, das Landgericht Detmold werde vermutlich kurzfristig über die Anklagen entscheiden, so dass der Antrag auf Einsetzen des Untersuchungsausschusses in der Juni-Plenarwoche gestellt werden könnte. Man könne dies erst beschließen, wenn die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen abgeschlossen seien.

Kinderschutzkommission vorgeschlagen

Die SPD bot den anderen Landtagsfraktionen zudem an, eine
Kinderschutzkommission einzurichten. Alle staatlichen Ebenen, das Land und die Kommunen, sollten beteiligt werden. Es gehe um Verbesserungsbedarf bei Prävention, Intervention und Repression, sagte Kutschaty. "Wir müssen alles dafür tun, dass Kinder nicht Opfer von sexueller Gewalt werden können." Noch in dieser Legislaturperiode sollten Lösungsvorschläge erarbeitet werden. "Unser Ziel ist es, kein Opfer dieser grausamen Straftaten an die Öffentlichkeit zu zerren oder in einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu laden", sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende.

Die AfD will noch in dieser Plenarwoche erneut einen eigenen Antrag für einen Lügde-Untersuchungsausschuss stellen. Mit einem ersten Antrag war die AfD bereits gescheitert. Ob die Fraktion sich dem SPD-Antrag im Juni anschließen werde, ließ AfD-Fraktionschef Markus Wagner offen. "Es gibt keinen Grund, die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses weiter zu verzögern", sagte er. Dem linken Teil der Opposition gehe es in erster Linie darum, der Landesregierung zu schaden. Dabei müssten vielmehr die strukturellen Defizite aufgearbeitet werden, die zu dem "multiplen Behördenversagen" geführt hätten. Die AfD wolle auch die Rolle der Jugendämter untersuchen. Das gehe in einem Ausschuss mit der Möglichkeit für Beweisanträge und Zeugenaussagen besser als in einer
Kommission.

Es gibt bereits drei U-Ausschüsse

Es gibt bereits drei Untersuchungsausschüsse im NRW-Landtag. Die Gremien, die gerichtsähnliche Befugnisse haben, beschäftigen sich derzeit mit dem Fall des islamistischen Attentäters Anis Amri, mit einem verwechselten und in staatlicher Obhut zu Tode gekommenen Häftling in Kleve sowie mit Ungereimtheiten rund um Ex-Agrarministerin Christina Schulze Föcking (CDU).