1. Nachrichten
  2. Thema
  3. Problemfall Ungarn: So funktioniert das undemokratische System Orbáns

Expedition EU

Problemfall Ungarn: So funktioniert das undemokratische System Orbáns

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hat sein Land zum Außenseiter in der EU gemacht. Nationalistisches Getöse statt europäischer Solidarität – wer so handelt, der verspiele die Chancen der europäischen Vielfalt, sagt der Orbán-Kritiker András Inotai.

Kommentare
Stadtbild: Gegenüber vom Parlament, am Freiheitsplatz, steht das Ethnografische Museum. | © Tom Sundermann

Stadtbild: Gegenüber vom Parlament, am Freiheitsplatz, steht das Ethnografische Museum. | © Tom Sundermann

Budapest. Ohne Provokation geht es für Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán nicht. Er will keine Flüchtlinge in seinem Land, nennt sie „muslimische Invasoren". Immer wieder legt er sich mit der Europäischen Union an, zuletzt mittels einer drastischen Plakatkampagne.

Dahinter steckt Kalkül: Das System Orbán und seiner Partei Fidesz sei auf den Erhalt der eigenen Macht gepolt, meint der emeritierte Wirtschaftsprofessor András Inotai. Die Reporter der Expedition EU treffen ihn nahe dem Parlament in der Hauptstadt Budapest. Inotai spricht perfektes Deutsch, ist auch als Experte für die Bertelsmann Stiftung tätig – diese hat Ungarn in einer Studie über die Qualität der Demokratie auf dem letzten Platz der 28 EU-Länder eingeordnet.

"Ungarn hat sich eine nie dagewesene Chance verbaut"

Professor Inotai, der Europa-Wahlkampf der ungarischen Regierungspartei Fidesz scheint nur eine Botschaft zu kennen: Die Feinde Ungarns sitzen in Brüssel. Warum verabschiedet sich Orbán nicht einfach aus der Union?

András Inotai: Weil das hier nicht gewollt ist. Es gibt einen klaren Unterschied: Orbán positioniert sich gegen die Politik in Brüssel, aber nicht gegen Europa an sich. Tatsächlich sind 85 Prozent der Ungarn pro-europäisch, das ist einer der höchsten Werte in der Union. Und natürlich nimmt Orbán gern die Geldtransfers der EU an.

Immerhin 22 Milliarden Euro zwischen 2014 und 2020.

Inotai: Dieses Geld hat keine nachhaltige Entwicklung gebracht. Ungarn hat sich eine nie dagewesene Chance zur Modernisierung verbaut. Das sind allerdings auch Fehler der Vorgängerregierung beim Beitritt vor 15 Jahren. Ich habe die Regierung damals beraten und auf ein Innovationsprogramm gedrängt - ohne Erfolg. Und auch die anderen EU-Mitglieder sind schuld. Sie sollten fragen: Was macht ihr mit unserem Geld? Es versickert in dubiosen Immobiliengeschäften und im Ausland.

Video

Da könnten Orbáns Gegner doch angreifen – immerhin ist Wahlkampf.

Inotai: Die Opposition findet hier keine gemeinsame Linie. Sie ist zu zersplittert. Der einzige, der seine Botschaft zuverlässig verbreiten kann, ist Orbán selbst. Die Bürger denken dadurch, es ginge um einen Freiheitskampf. Er sagt unter anderem, Ungarn müsse verteidigt werden vor den Flüchtlingen. Doch das ist eine Lüge. Momentan gibt es in ganz Europa keinen Migrationsdruck. Und allein könnte Ungarn seine Grenzen gar nicht verteidigen, wenn es zu einem neuen Flüchtlingsstrom kommt. Da müsste die Grenzschutzagentur Frontex eingreifen.

Orbán hetzt gegen die „Brüsseler Bürokratie", und ließ Plakate aufhängen, mit denen Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der Investor George Soros verächtlich gemacht werden. Wie kommt diese Rhetorik bei den Ungarn an?

Inotai: Schon traditionell ist die ungarische Gesellschaft kaum auf die Welt da draußen vorbereitet. Hier schaut man eher nach innen. Und Orbans Message ist: „Alle da draußen sind unsere Feinde." Und jetzt will er sich als derjenige darstellen, der Europa und das christliche Abendland verteidigt.

Der Podcast zur Expedition EU kann bei Spotify, Apple Podcasts und weiteren Portalen abonniert werden.

Der Ministerpräsident hat die Presse mit einem scharfen Mediengesetz strenger Überwachung unterzogen, die Regierung kontrolliert das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Ist die Pressefreiheit in Ungarn faktisch abgeschafft?

Inotai: Nicht so wie in einem Ein-Parteien-Regime. Man kann hier seine Meinung sagen. Aber die Hasskampagnen der Regierung bleiben hier praktisch unwidersprochen. Mehr als 80 Prozent der Medien sind in Orbáns Hand. Problematisch ist das vor allem für die Lokalzeitungen, die in der Provinz nach wie vor die wichtigste Informationsquelle sind. Sie sind ausnahmslos unter Kontrolle der Regierung. Dort findet die Stimme der Opposition kaum Platz.

Geht mit Orbán hart ins Gericht: Wirtschaftsforscher András Inotai. Fotos - © Tom Sundermann
Geht mit Orbán hart ins Gericht: Wirtschaftsforscher András Inotai. Fotos | © Tom Sundermann

Auch das Wort „Mafia-Staat" haben Sie sich für die Beschreibung der aktuellen Verhältnisse zu eigen gemacht. Steht Orbán in einer Reihe mit politischen Führern wie Russlands Präsident Putin und dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan?

Inotai: In vieler Hinsicht ja. Vor allem, was den autokratischen Führungsstil und die Machtkonzentration an der Spitze anbelangt. Ungarn ist eine unliberale Nicht-Demokratie.

"Dann verschwindet Europa von der Landkarte der Weltpolitik"

Hat ein Land mit diesem Kurs überhaupt eine echte Zukunft?

Inotai: Das Prinzip EU ist ja: Wir geben einen Teil unserer Souveränität ab, dafür erhalten wir eine ganz andere Art von Souveränität, die wir mit anderen teilen. Das bedeutet Stärke. Und die brauchen wir im internationalen Wettbewerb. Was kann das kleine Ungarn gegen China ausrichten? Was Österreich gegen die USA? Und auch Deutschland und Frankreich sind nicht stark genug. Wer sagt „Wir brauchen unbedingt einen starken Nationalstaat", der hat aus der Geschichte nichts gelernt.

Was passiert, wenn ein Modell wie dieses Schule macht?

Inotai: Dann verschwindet Europa von der Landkarte der Weltpolitik. Wir haben ja jetzt ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Interessen. Aber das heißt ja nicht, dass wir es gemeinsam nicht schaffen.

Verfolgen Sie unsere drei EU-Reporter live auf Instagram.

Die Expedition EU wird von der Bertelsmann Stiftung unterstützt.

Information


Das ist András Inotai

András Inotai, geboren 1943, ist Forschungsdirektor des Instituts für Weltwirtschaft in Budapest.

Zuvor forschte er an Instituten und Universitäten weltweit, war zudem zwischen 1995 und 1998 Leiter einer Kommission des ungarischen Ministerpräsidenten, die das Land auf den EU-Beitritt vorbereitete.

Zu seinen Schwerpunkten zählen die europäische und die Weltwirtschaft sowie das Krisenmanagement in der EU und der Eurozone.

Kommentare

Unsere neue Kommentarfunktion

Entdecken Sie jetzt unsere verbesserte Kommentarfunktion - nur ein Klick und Sie können starten! Ihre bisherigen Kommentare sind selbstverständlich weiterhin verfügbar.