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Korruption und Auftragsmorde: Was in Malta geschieht, bleibt in Malta

Auf der kleinen Mittelmeer-Insel boomen Wettbüros, Briefkastenfirmen und Korruptionsgeschäfte. Wer darüber berichtet, lebt gefährlich und muss gar um sein Leben fürchten. Was tut die EU dagegen? Bislang erstaunlich wenig.

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"Gerechtigkeit": Ein Bild, ein Banner und Blumen zieren die Gedenkstätte der getöteten Bloggerin Daphne. | © Matthias Schwarzer

"Gerechtigkeit": Ein Bild, ein Banner und Blumen zieren die Gedenkstätte der getöteten Bloggerin Daphne. | © Matthias Schwarzer

Valletta. Der Taxifahrer legt den Rückwärtsgang ein. Nach dem dritten Hupen ist klar: er hat verloren und muss den kleinen Fiat gegenüber passieren lassen. Die Straßen in dem beschaulichen Ort Gudja sind so eng, dass zwei Autos hier nicht nebeneinander passen. Und auch eine vernünftige Verkehrsregelung fehlt. Niemand weiß, wer zuerst fahren darf und wer Vorfahrt gewähren muss. Hier zählt nur eins: Es gewinnt, wer die meiste Ausdauer hat - oder die lautere Hupe.

„Welcome to Malta", sagt der Taxifahrer selbstironisch, als der Fiat an ihm vorbei zockelt. „Kein Lächeln, kein Gruß zum Dank", sagt er. „So sind die Autofahrer hier." Tatsächlich ist der aggressive Straßenverkehr in Malta ein Problem: Hier wird gerast, gehupt, wenig geblinkt - die Luft ist schlecht. Kaum jemand nutzt die öffentlichen Verkehrsmittel, da sie viel zu lange brauchen und völlig unzuverlässig sind. „Katastrophe", sagt der Taxifahrer.

„Und das Verkehrsproblem wird immer schlimmer", erklärt er. Seit in Malta das Geschäft mit ausländischen Wettbüros boomt, kommen unzählige Menschen aus dem Ausland auf die Insel. Inzwischen wohnen hier 500.000 Menschen auf engstem Raum. Obwohl Malta das kleinste Land der EU ist, ist es zugleich das am dichtesten besiedelte. Die Insel platzt förmlich aus allen Nähten.

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Briefkastenfirmen, Korruption, Auftragsmorde

Auch viele deutsche Wett-Unternehmen sind auf Malta ansässig. Grund dafür sind die günstige Gesetzeslage und Steuervorteile. „Die Mieten auf Malta sind seither enorm in die Höhe geschossen", erklärt der Taxifahrer. „Unter 700 Euro kriegt man hier praktisch nix mehr." Der Boom mit dem Glücksspiel beeinflusst also auch die eigene Bevölkerung — und das nicht zum positiven.

Doch Malta hat noch ganz andere Probleme: Briefkastenfirmen, Korruption, Auftragsmorde und Einschränkungen der Pressefreiheit sind nur einige Schlagworte, die immer wieder durch die Medien geistern. Die Panama Papers hatten 2016 unzählige Korruptionsfälle in Malta enthüllt, in dessen Zentrum die zwei engsten Vertrauten des Premierministers Joseph Muscat stehen: Stabschef Schembri und Tourismusminister Konrad Mizzi.

Die Bloggerin Daphne Caruana Galizia war seinerzeit maßgeblich an der Aufdeckung dieser Fälle beteiligt. Hier auf Malta wurde sie als „One-Man-Wiki-Leaks" bezeichnet. Sie bezahlte für ihre Recherchen mit ihrem Leben. Am 16. Oktober 2017 flog ihr Auto nur wenige Meter hinter ihrem Haus in die Luft. Später stellte sich heraus, dass die Explosion auf eine Autobombe zurückzuführen ist.

Trauer am Anschlagsort

Auf diesem Feld wurde die Journalistin Daphne Caruana Galizia ermordet.  - © Matthias Schwarzer
Auf diesem Feld wurde die Journalistin Daphne Caruana Galizia ermordet.  | © Matthias Schwarzer

Auf der Expedition EU besuchen wir den Anschlagsort, ganz in der Nähe der Stadt Bidnija. Auch anderthalb Jahre nach der Tat, wehen hier die Trauerschleifen an den Bäumen, überall sind Plakate und Poster mit dem Gesicht der Bloggerin zu sehen. Auf dem Feld, auf dem das Auto Feuer fing, steht ein großes Schild mit der Aufschrift „Justice" - also: „Gerechtigkeit".

Wir wollen vor Ort mit Menschen über den Fall und die Korruption in Malta sprechen - und stoßen dabei schnell an unsere Grenzen. Die Häuser an der Straße sind stark gesichert oder verlassen. Überall stehen Absperrschilder mit dem Hinweis „Keep out" - „Betreten verboten". Ein Blogger, der seinerzeit eng mit Daphne zusammengearbeitet hatte und heute noch über Korruption bloggt, sagt uns erst zu und dann kurzfristig wieder ab. Die offizielle Begründung: Ein Arztbesuch. Doch wirklich glauben wollen wir das nicht.

„Wer sich in das Thema einmischt, wird ganz gezielt bedroht", weiß auch der Taxifahrer, der ebenfalls anonym bleiben möchte. „Das Risiko geht kaum jemand ein."

„Die Situation ist aussichtslos"

Eine, die reden möchte, ist Pia Zammit - wenn auch nicht vor Ort. Die Aktivistin hält sich an diesem Wochenende im Ausland auf. Zammit hat nach der Ermordung von Daphne Caruana Galizia zusammen mit anderen Aktivistinnen und Aktivisten die Bewegung #OccupyJustice ins Leben gerufen. Wobei „Bewegung" nicht ganz richtig ist: „Wir sind keine offizielle Gruppe, da diese angemeldet werden müssten und von der Regierung kontrolliert werden", erklärt Zammit.

Korruption sei in Malta „alive and kicking" (also: gesund und munter), erklärt die Aktivistin. „Und die Situation ist aussichtslos." Trotz der Enthüllungen der „Panama Papers" seien der Premierminister und seine Minister weiterhin im Amt.

Die Verfolgung der Fälle sei in Malta enorm schwierig, erklärt Zammit. „Unsere Institutionen und Behörden auf Malta sind überfüllt mit politischen Menschen und ihren Einflüssen. Geldwäscherei sei Standard auf der Insel. „Wir haben Whistle Blower, die jeden Tag um ihr Leben fürchten müssen. Und wir haben maltesische Politiker, die tun und lassen können was sie wollen - ohne irgendetwas befürchten zu müssen."

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Auch die Bedrohung von Bloggern oder Journalisten sei an der Tagesordnung. Die investigative News-Seite „Shift News" werde ständig für ihre Recherchen mit Bußgeldern bestraft. Zuletzt hatte die Website ein Netzwerk von geheimen Facebook-Gruppen aufgedeckt, in dem Freunde der Regierung um Premierminister Muscat Online-Attacken gegen Aktivisten und Journalisten organisieren sollen.

„Daphnes Tod war eine Warnung an uns alle", sagt Zammit. Die meisten Journalisten auf Malta lebten zwar in Sicherheit - allerdings würden sie auch nicht sonderlich Tief im Korruptions-Sumpf graben. „Würde es nicht ein paar mutige Ausnahmen geben, würde wahrscheinlich gar nichts an die Öffentlichkeit dringen", vermutet sie.

Die Regierung kontrolliere große Teile der Medienhäuser und betreibe einige sogar selbst, erklärt sie. Die unabhängige Zeitung „Times of Malta", die „Shift News" und einige Blogger hingegen würden die Fahne der Pressefreiheit hochhalten - trotz immer wieder neuer Attacken und Einschränkungen bei den Werbeeinnahmen.

Was tut die EU?

Wenig Raum: Eine Straße in Valletta. - © Matthias Schwarzer
Wenig Raum: Eine Straße in Valletta. | © Matthias Schwarzer

Und was hat die EU zu all dem zu sagen? „Bislang relativ wenig", meint Zammit. Die kleine Insel scheint ihr ganz spezielles Eigenleben zu führen. Fast getreu dem Motto: Was in Malta passiert, bleibt in Malta. Kurz nach dem Mord an Daphne Galizia hatte Brüssel mitgeteilt, kein Verfahren wegen Verletzung der Rechtsstaatlichkeit gegen Malta anzustrengen.

Man habe den Fall diskutiert, und der Rechtsstaat in Malta sei nicht gefährdet. Wohl aber gebe es spezifische Probleme, über die man mit Malta rede, und die Kommission stehe in Kontakt mit der dortigen Regierung.

Sven Giegold, Europaabgeordneter der Grünen und Teilnehmer der EU-Delegationsreise hatte seinerzeit widersprochen: "Es gibt ein systematisches Problem mit der Rechtsstaatlichkeit, und das wird von der Kommission vertuscht. Sogar nach dem Tod von Daphne wird es noch vertuscht, und das finde ich ungeheuerlich."

„Daphne Project" führt Recherchen fort

Eine kleine Straße in Gudja.  - © Matthias Schwarzer
Eine kleine Straße in Gudja.  | © Matthias Schwarzer

In der Bevölkerung sieht man das ähnlich. „Ist doch irgendwie erstaunlich", bemerkt der Taxifahrer, als er uns nach einer Fahrt durch den stockenden maltesischen Verkehr wieder vor dem Hotel absetzt. „Warum dauert es so lange, den Mordfall an Daphne aufzuklären?" Zwar wurden im Dezember die drei Männer verhaftet, die die Bombe am Auto von Daphne befestigt und gezündet hatten. Was die Hintermänner angeht, haben die Behörden bisher jedoch wenig Interesse an Aufklärung gezeigt.

Polizei und Justiz würden bei Fällen wie diesen ausgesprochen langsam arbeiten, meint der Fahrer. Werden die Ermittlungen also absichtlich behindert? „Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen", sagt er. „Aber wundern würde es mich hier auf keinen Fall."

Gelohnt hat sich der Mord an Journalistin Galizia jedenfalls nicht. Kurz nach dem Vorfall haben 45 Journalisten aus 15 Ländern angekündigt, die Arbeit der Bloggerin weiterzuführen, und Korruptionsfälle in Malta nicht weiter „unter dem Radar" laufen zu lassen. Auch den entscheidenden Hinweis auf die Hintermänner ihrer Ermordung wollen die Journalisten finden. Das Motto des „Daphne Project" ist klar: Tötet ihr einen von uns, kommen wir mit vielen.

Die Expedition EU wird von der Bertelsmann Stiftung unterstützt.


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