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Zoff um Miss America

Keine Fleischbeschau: In der Chef-Etage des Schönheitswettbewerbs tobt ein Kulturkrieg um Bikinis und innere Werte

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15.07.2018 | 15.07.2018, 10:02
In Bademode: Die 30-jährige Olivia Jordan Thomas gewann die Miss-Wahl vor drei Jahren in den USA. - © dpa
In Bademode: Die 30-jährige Olivia Jordan Thomas gewann die Miss-Wahl vor drei Jahren in den USA. | © dpa

Washington. Als im September 1968 der alljährliche "Miss America"-Schönheitswettbewerb startete, zogen 400 wütende Feministinnen mit der Parole "Frauen sind kein Fleisch" auf den Plan. Im Protestjahr warfen sie Lockenwickler, Stöckelschuhe, falsche Wimpern, Lippenstifte und Büstenhalter demonstrativ in einen großen Abfalleimer. Genau 50 Jahre später droht die Gegenbewegung.

An der Spitze der Organisation des Schaulaufens um Anmut und Ausstrahlung ist ein erbitterter Krieg um ein symbolisches Stück Stoff ausgebrochen. Bikini or not Bikini - das ist die Schlüsselfrage in einem Drama, das sich seit Tagen zur gefühlten Staatsaffäre hochschaukelt, in der nur noch der frühere Schönheitswettbewerb-Mitveranstalter Donald Trump fehlt.

Der Reihe nach: Im vergangenen Winter, die durch die sexuellen Übergriffe Harvey Weinsteins entstandene MeToo-Bewegung gegen Frauenfeindlichkeit war auf ihrem Höhepunkt, wurden unflätige Äußerungen über ehemalige Schönheitsköniginnen bekannt. Urheber: Sam Haskell, der damalige Chef der Miss- America-Organisation. Er musste gemeinsam mit einigen Mitstreitern seinen Hut nehmen.

Neues Frauenbild durch MeToo-Debatte

An seine Stelle rückte Gretchen Carlson. Die frühere Beauty-Queen hatte es zuvor zu einigem Ruhm gebracht, weil sie - einst Nachrichten-Moderatorin des TV-Senders Fox News - den ehemaligen Network-Boss Roger Ailes wegen sexueller Belästigung verklagt und am Ende 20 Millionen Dollar Schadensersatz erhalten hatte.

Die Frau aus Minnesota sah im neuen Amt die Zeit für einschneidende Veränderungen gekommen, die dem durch MeToo veränderten Frauenbild Rechnung tragen sollten. Nach Beratungen in den Miss-America-Gremien stand im Juni der einstimmige Beschluss: Fleischbeschau im Bikini wird abgeschafft. Und damit ein fester Bestandteil der Show, deren Tradition bis 1921 zurückreicht. Auch der durchgenormte Auftritt in Abendrobe ist perdu. Jede Teilnehmerin soll anziehen, was ihrer Persönlichkeit am nächsten kommt. "Wir werden euch nicht mehr nach dem Aussehen beurteilen, weil wir daran interessiert sind, was ihr denkt", sagte Carlson und brachte die Neuerung nach knapp 100 Jahren Wettbewerbs-Historie radikal so auf den Punkt: "Wir sind kein Schönheitswettbewerb mehr." Wie bitte?

Schönheits-Königinnen auf den Barrikaden

Bis die Veränderung allen dämmerte, dauerte es ein paar Tage. Aber dann brach aus, was Beteiligte in US-Medien einen veritablen "Bürgerkrieg" nennen. Vertreter von Miss-America-Untergliederungen aus 22 Bundesstaaten sowie etliche inzwischen betagte Schönheits-Königinnen gingen öffentlich auf die Barrikaden. Sie beschuldigten Carlson despotischer Alleingänge und Täuschungsmanöver und verlangten kurzerhand ihren Rücktritt und den von CEO Regina Hopper. Hauptargument: Ohne die Badeanzug-Einlage verliere das Fernsehen das Interesse an der Show. Ohne Fernsehen keine Werbe-Einnahmen. Ohne Werbe-Einnahmen ein künftig noch größeres Defizit als die rund 550.000 Dollar im Jahr 2016.

Unsinn, konterte der Vorstand um Carlson und verwies darauf, dass der übertragende Sender ABC nichts dergleichen erklärt habe. Um sie nicht allein zu lassen, bekundeten 31 ehemalige Miss Americas schriftlich ihre uneingeschränkte Solidarität mit Carlson. Sie verdiene bei ihrem Versuch "volle Unterstützung", dem Wettstreit seinen überkommenen Charakter zu nehmen und den Blick stärker auf die inneren Werte der Teilnehmerinnen zu lenken.

Wie der Kampf um nackte Haut bei einem aus der Zeit gefallenen Spektakel ausgeht, wird sich am 9. September zeigen. Boardwalk Arena. Atlantic City.