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Zu harte Erziehung? Bielefelder Mutter immer wieder auf der Straße beschimpft

Samy ist Autist. "Er braucht klare Ansagen", sagt die 27-Jährige

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Gute Mutter: Viele Menschen in Küppers' Umfeld können es nicht nachvollziehen, wie sie mit ihrem Sohn Samuel umgeht. Dabei kümmert sich die 27-Jährige aufopferungsvoll um ihren Sohn, sagt sie. Sogar ihren Job hat die junge Mutter für Samy aufgegeben. "Zuungunsten seiner Erziehung", sagt Küppers. | © Sarah Jonek

Gute Mutter: Viele Menschen in Küppers' Umfeld können es nicht nachvollziehen, wie sie mit ihrem Sohn Samuel umgeht. Dabei kümmert sich die 27-Jährige aufopferungsvoll um ihren Sohn, sagt sie. Sogar ihren Job hat die junge Mutter für Samy aufgegeben. "Zuungunsten seiner Erziehung", sagt Küppers. | © Sarah Jonek

17.07.2018 | 17.07.2018, 10:47

Bielefeld. Wie geht die denn mit dem Kind um? Wie packt die Frau denn ihren Sohn an? Mit herablassenden Kommentaren und vorwurfsvollen Blicken hat Mirijam Küppers oft zu tun, wenn sie mit ihrem Sohn Samuel in der Öffentlichkeit unterwegs ist. Die alleinerziehende Mutter redet in einem scharfen, lautem Ton mit ihrem Sohn "Samy". "Entweder - Oder", stellt sie den Sechsjährigen immer wieder vor die Wahl.

Fest am Oberarm gepackt

Packt ihn so fest am Oberarm, bis ihre Fingerknöchel weiß werden. Was viele Außenstehende nicht wissen: Samy ist Autist. "Er braucht klare Ansagen", sagt die 27-Jährige. Solche "Entweder - Oder"-Ansagen eben. Auf viele Menschen wirke Küppers oft wie eine schlechte Mutter. Dabei tue sie ihrem Sohn aber nicht weh, sagt sie. Einige Autisten seien sehr sensibel, andere hätten ein hohes Schmerzempfinden, erklärt Küppers. Nur so könne sie ihrem Sohn richtiges Verhalten beibringen und verständlich machen.

"Viele Autisten können soziale und emotionale Signale nur schwer einschätzen und haben ebenso Schwierigkeiten, sie zu verstehen", erklärt Friedrich Nolte, Fachreferent beim Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus, die Entwicklungsstörung. Dadurch falle es betroffenen Personen schwer, sich an Regeln zu halten oder Sachverhalte zu verstehen. "Samy kann sich zum Beispiel im Kindergarten nicht in der Reihe für die Rutsche anstellen. Das überfordert ihn", erklärt Küppers. Ihr Sohn könne zudem Eindrücke und Reize um sich herum nicht richtig filtern. Die Zeit, die er zum Verarbeiten brauche, ginge ihm für andere Dinge verloren und könne sich nur langsam weiterentwickeln.

Weniger Verständnis, mehr abfällige Kommentare

Bereits vor seinem ersten Lebensjahr bemerkte Küppers erste Auffälligkeiten. Samy wollte nur alleine spielen, war oft abwesend. Mit zunehmenden Alter reagierte er nicht auf seinen Namen, stellte immer wieder die gleichen Fragen, zeigte Ticks. Dann die Diagnose: Autismus. "Es war ernüchternd", erinnert sie sich. "Samy findet alles toll, was bei anderen krasse Reaktionen auslöst", erklärt Küppers. Zuhause knalle er Türen zu und schmeiße Gläser um. "Wenn wir beispielsweise mit dem Bus fahren, springt er häufig auf den Sitzen rum oder bohrt in der Nase", sagt sie.

Die anderen Fahrgäste haben dafür meist wenig Verständnis. Im Gegenteil. Oftmals kämen unangebrachte Kommentare und Ratschläge. "Sag Bescheid, wenn du Gold gefunden hast", bekamen Samy und seine Mutter schon zu hören. Andere Mütter auf dem Spielplatz würden hinter Küppers' Rücken flüstern und über sie herziehen. "Hast du das gesehen?", tuscheln andere Mütter, wenn sie ihren Sohn mal wieder feste am Arm greift. Eine Anzeige aus der Nachbarschaft wegen angeblicher Kindeswohlgefährdung hatte die junge Mutter ebenfalls schon am Hals.

Verwandtschaft ist irritiert

Auch Küpper' Verwandtschaft reagiere schon mal irritiert. Sie ist genervt, dass sie nur wenig Verständnis bekommt. "Die Leute sollen wissen, dass die meisten Eltern wissen, was sie tun", sagt die junge Mutter. Wenn sie Samy etwas fester anpackt, sei das nur zu seinem Besten. Küppers' kann die Menschen zum Teil aber auch verstehen. "Viele Situationen sind schwierig einzuschätzen", gesteht sie.

Für die Zukunft wünscht sie sich und anderen betroffenen Eltern, deren Kinder Autisten sind, nur eines: "Wenn mein Verhalten die Menschen irritiert, sollen sie bitte erst nachfragen, warum ich so mit meinem Sohn umgehe und dann urteilen."

Information


Diagnose Autismus

  • Der Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus definiert diese Behinderung als eine komplexe neurologische Entwicklungsstörung. Häufig bezeichnet man Autismus auch als Störungen der Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung, die sich auf die Entwicklung der sozialen Interaktion, der Kommunikation und des Verhaltens auswirkt.
  • Die Merkmale für Autismus sind Auffälligkeiten im sozialen Umgang mit Mitmenschen, in der Kommunikation und in sich wiederholenden und stereotypen Verhaltensweisen. Diese Merkmale können sich bereits vor dem dritten Lebensjahr äußern.
  • Betroffene Menschen wollen als Autisten und nicht als Menschen mit Autismus bezeichnet werden, da der Autismus sie als Menschen ausmache. Dieser Zustand hält ein Leben lang an und kann je nach Mensch mehr oder weniger kompensiert werden.
  • Autisten sind aber weder an Autismus „erkrankt" noch „leiden" sie darunter – es sei denn, sie formulieren es für sich selbst so.

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