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Harvard-Dozent Yascha Mounk: So bekämpfen wir den Zerfall der Demokratie

Der Politikwissenschaftler warnt vor dem Zerfall der Demokratie

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16.02.2018 | 16.02.2018, 19:58

Herr Mounk: Wenn Sie die politische Situation in Deutschland mit einem Wort beschreiben müssten, welches wäre das?
Yascha Mounk:
Alarmierend.

Warum?
Mounk:
Alles konzentriert sich auf die Diskussion, ob die SPD in die Große Koalition eintreten soll oder nicht. Dabei unterschätzt diese Debatte den Ernst der Lage. Die Zeit, in der in Deutschland eine ideologisch kohärente Koalition eine andere ablöste – also zum Beispiel auf Schwarz-Gelb Rot-Grün folgte – ist lange vorbei. Damit werden zwei Sachen, die die Populisten immer predigen, leider wahr. 1.: Es gibt keine echten Unterschiede mehr zwischen den großen Parteien. 2.: Die einzige Art, die Regierung abzuwählen, ist, seine Stimme Extremisten zu geben.

Das wäre aber fatal.
Mounk:
Stimmt. Aber es ist der Eindruck, der entstehen muss. Vor der Wahl kann niemand mehr wissen, ob es einen Unterschied macht, die FDP, die SPD, die Grünen oder die CDU zu wählen – denn in irgendeiner nicht vorauszuahnenden Konstellation werden sie ja alle miteinander koalieren. Auch darum befürchte ich, dass die AfD in den nächsten Jahren weiter zulegen wird.

Dass sich Parteien ähneln, ist kein neues Phänomen. Was hat sich geändert, dass Populisten überall Zulauf haben?
Mounk:
Der Populismus erstarkt in der ganzen Welt seit 20 Jahren. Das wollten viele Menschen nur nicht wahrhaben. Außerdem haben drei Entwicklungen den Trend besonders vorangetrieben.

Welche sind das?
Mounk:
Zum einen die wirtschaftliche Stagnation. Vielen Menschen geht es nicht viel besser als ihren Eltern, und sie haben Angst um die Zukunft ihrer Kinder. Das macht sie hellhörig für andere politsche Angebote. Gleichzeitig hat Deutschland Probleme, sich von einer monokulturellen zur multiethnischen Gesellschaft zu entwickeln. Den Menschen geht ein Teil Identität verloren. Das führt zu der irrationalen Angst, Fremde könnten ihnen ihr Land wegnehmen. Gleichzeitig machen es soziale Medien neuen Parteien einfacher, sich zu organisieren.

Was kann den Trend stoppen?
Mounk:
Menschen, die mit mehr Mut Politik machen. Die Parteien müssen aufhören, im immer gleichen „Weiter-so-Stil" zu agieren. Sie müssen zeigen, dass der Staat die Kontrolle hat und Ungerechtigkeiten nicht toleriert werden. Die Steuerflucht großer Konzerne muss beendet werden. Es benötigt einen Wandel.

Angenommen, die etablierten Parteien verstehen den Warnschuss doch noch. Wird die AfD auf absehbare Zeit wieder in der Versenkung verschwinden?
Mounk:
Auszuschließen ist das nicht. Allerdings gibt es mehr Beispiele dafür, dass Rechtspopulismus wächst, wenn er es erst in die Parlamente geschafft hat. Da folgt auf eine extreme Partei eine zweite. Oder solche, deren ideologische Zuordnung nicht eindeutig ist. Italien und Österreich sind dafür Beispiele.

Aber die AfD hat ebenfalls mit parteiinternem Streit zu kämpfen und für viele politische Fragen kein Programm.
Mounk:
Rechtspopulistische Parteien haben es oft schwierig, ihre Mitglieder zusammenzuhalten. Aber deswegen lässt die extreme Stimmung in einem Land nicht unbedingt nach.

Sie haben in den USA den Aufstieg Donald Trumps miterlebt. Wäre so eine Karriere auch in Deutschland möglich?
Mounk:
Auf meinen Reisen sagen mir viele kluge Menschen: „Ich kenne mein Land. So etwas kann hier nicht passieren." Genauso haben die Amerikaner geredet, bevor Trump Präsidentschaftskandidat wurde. Genauso haben die Briten vor dem Brexit geredet. In Deutschland herrscht noch viel Selbstzufriedenheit. Das ist gefährlich. Wir können nicht mehr von der Vergangenheit auf die Zukunft schließen.

Warum haben Sie die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen?
Mounk:
Das hatte einerseits ganz praktische Gründe. Immerhin lebe ich ja bereits lange in den USA. Die Gründe waren aber auch politisch: Die USA ist immer noch die größte Demokratie der Welt. Ich will mich daran beteiligen, sie zu erhalten. Darum habe ich mich bewusst nach der Wahl Donald Trumps zu diesem Schritt entschieden, um bei dem feierlichen Eid versprechen zu können, „dass ich die Verfassung schützen werde, vor Feinden aus dem Aus- und dem Inland."

Sie sind 1982 geboren und haben nur Frieden erlebt. Warum machen Sie sich solche Sorgen?
Mounk:
Ich erlebe als Politikwissenschaftler, wie viele Annahmen meiner Kollegen, die vor fünf Jahren noch in Stein gemeißelt schienen, keinerlei Bestand mehr haben. Schauen Sie sich Ungarn an. Das Land sahen viele schon auf dem besten Weg zur Demokratie, jetzt steuert es direkt in eine Diktatur.

Ist die Demokratie dann überhaupt noch zu retten?
Mounk:
Das hängt jetzt von uns allen ab. Wir neigen dazu, immer auf die Politiker zu schimpfen und zu beklagen, was uns fehlt, anstatt sich auf das zu besinnen, was wir haben: nämlich eine Grundordnung, die sowohl demokratisch als auch freiheitlich ist. Wir können als Kollektiv unser Schicksal bestimmen und dennoch als Einzelne unsere Freiheit nutzen, um unser Leben individuell zu gestalten. Diese Kombination ist wertvoll. Aber wir benehmen uns wie Fische im Wasser, die das Wasser zwar zum Überleben brauchen, sich dessen kostbarer Existenz aber oft gar nicht bewusst sind.

Welche Parteien müssten diesen Aufbruch steuern?
Mounk:
Die Koalitionsfrage ist nicht entscheidend, sondern die Inhalte. Politiker müssen jetzt zeigen, dass sie gestalten können. Das kann auch mit Angela Merkel an der Spitze sein, die ja in den vergangenen zwölf Jahren relativ stabil und durchaus sympathisch den Status quo verwaltet hat. Aber nur zu verwalten, reicht eben nicht aus. Deutschland braucht jemanden, der den Weg weist und vorangeht.

Das kritisieren auch die Jüngeren in SPD und CDU. Brauchen wir neues Personal?
Mounk:
Die Jugend hat immer protestiert. Aber die Wut an der Parteibasis ist heute auf einem anderen Level als vor 20 Jahren. Um neue Köpfe zu gewinnen, müssten wir aber zunächst einmal viele verkrustete Strukturen aufbrechen.

Inwiefern?
Mounk:
In der deutschen Politik gibt es keinen Platz für Querdenker, egal ob jung oder alt. Du wirst Abgeordneter mit gutem Posten, wenn du 30 Jahre Plakate geklebt hast, nicht weil du etwas schlaues zu sagen hast. Dass es allen Parteien an Spitzenpersonal fehlt, kann nicht daran liegen, dass es in Deutschland nur mittelmäßige Leute gibt. Die Guten gehen aber in die Zivilgesellschaft, in die Wirtschaft oder zu Organisationen, bei denen sie mehr gestalten können.

Information


Zur Person

Der Politikwissenschaftler Yascha Mounk, 1982 in München geboren und aufgewachsen in Deutschland, lebt inzwischen in den USA und ist Dozent an der Harvard University Boston.
Sein Forschungsschwerpunkt umfasst die Geschichte des Populismus und die Krise der liberalen Demokratie.
Als freier Publizist schreibt er unter anderem für die New York Times.
Aufsehen erregte er 2014 mit dem Buch „Fremd im eigenen Land", seinem Erfahrungsbericht, als junger Jude und Sohn polnischer Eltern in Deutschland aufzuwachsen.
Sein neues Buch „Der Zerfall der Demokratie. Wie der Populismus den Rechtsstaat bedroht" ist gerade erschienen.

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