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Bielefeld/Düsseldorf

Einschulung: Nicht das Alter, sondern der Unterrichtsinhalt ist das Problem

Ärzte, Eltern und Erzieher wollen den frühen Schulstart rückgängig machen. Dabei ist nicht das Alter, sondern der nichtangepasste Unterricht das größte Problem

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Bei einer Petition sammeln Eltern derzeit Unterschriften für eine Verlegung des Stichtages zur Einschulung. | © picture alliance /dpa

Bei einer Petition sammeln Eltern derzeit Unterschriften für eine Verlegung des Stichtages zur Einschulung. | © picture alliance /dpa

20.03.2019 | 21.03.2019, 11:00

Bielefeld/ Düsseldorf. In Nordrhein-Westfalen werden seit 2011 auch Fünfjährige eingeschult. Viele Eltern finden das zu früh und empfinden den Stichtag als falsch gesetzt. Sie fordern daher eine Rückkehr vom 30. September auf den 30. Juni. Eine entsprechende Petition fand mehr als 42.000 Unterstützer. Am Mittwoch wurde sie im Düsseldorfer Landtag an die Politiker übergeben. Doch bedeutet die Verlegung tatsächlich so einen gewaltigen Unterschied für die Kinder?

„Ja und nein", sagt Marcus Heidemann, Kinderarzt aus Bielefeld. Denn das Einschulungsalter sei nicht das Problem. „Die Schwierigkeit ergibt sich vielmehr dadurch, dass zwar das Alter der Kinder, nicht jedoch der Unterricht und die Erwartungshaltung der Lehrer an die Erstklässler angepasst wurde", so Heidemann.

Kinder mit fünf Jahren sind verspielter

Dass ein Kind mit fünf Jahren in der Regel noch verspielter sei und mehr Zuwendung benötige, als ein sechsjähriges Kind, sei logisch. „Bei der Einschulung gibt es eine Altersspanne von Kindern zwischen 5 3/4 und 7 Jahren. Das bedeutet unter Umständen 1/5 des Lebens weniger an Entwicklungszeit", so der Mediziner. Diese frühe Einschulung will die Initiatorin der Petition verhindern. Statt eines starren Zeitpunkts sollten laut der Mutter lieber die Eltern entscheiden, ob ihr Kind mit dem sechsten Geburtstag zwischen Juli und Ende September schon in diesem Jahr zur Schule gehen soll oder nicht.

Heidemann zufolge müsse die Frage eher heißen „Was erwartet das Kind in der Schule", als „Wann schicke ich das Kind in der Schule." Denn mit einem entsprechend berücksichtigendem Unterricht sei auch eine frühere Einschulung kein Problem. Doch genau das wurde 2011 nicht angepasst. Noch schlimmer.

Mit der Änderung fielen Vorschule und ein Jahr Erprobungsstufe weg, die den Kindern bis dahin die Chance zur Einfindung in den Schulalltag gab. Das System Schule hat sich also sogar für diejenigen verschlechtert, die für den Beginn etwas mehr Hilfestellung benötigen.

Lehrer haben dieselben Ansprüche an Erstklässler

Das bestätigt auch der Blick auf die steigende Zahl der Ergotherapien in Bezug auf das Schriftbild bei Erstklässlern. „Da liegt eher der hohe Anspruch der Lehrer an eine saubere Schrift zugrunde. Natürlich kann ein Kind mit fünf das noch nicht so, wie ein Kind mit sechs Jahren", sagt Heidemann.

In anderen Ländern sieht der Schulalltag für kleine Kinder ganz anders aus. Mit vier Jahren sind die Kinder in Großbritannien bei der Einschulung am jüngsten im internationalen Vergleich. Dennoch ist der Schulalltag für die Kinder nicht als solcher zu verstehen, denn im Mittelpunkt steht das spielerische Lernen in einem lockeren Lehrplan.

Doch das ist in NRW nicht vorgesehen und so unterstützen nicht nur Eltern, sondern auch Erzieher und Lehrer die Petition. „Wir haben schon beim Regierungswechsel im Jahr 2010 die rot-grüne Landesregierung aufgefordert, zum Stichtag 30. Juni zurückzukehren und eine Antragsregelung für jüngere Kinder zu machen", sagt Dorothea Schäfer, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft NRW. Beim Verband Bildung und Erziehung NRW sieht man Stichtage zur Einschulung generell problematisch. „Die Entscheidung über die Einschulung eines Kindes sollte deshalb von den Eltern, der Schulleitung und den Schulärzten gemeinsam getroffen werden", sagt Stefan Behlau, Vorsitzender des VBE NRW und sagt, dass eine Stichtagsregelung nur der rechtliche Rahmen sein sollte, nicht jedoch zwingend.


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