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So leben alte Männer in Bielefeld hinter Gittern

In der JVA Senne gibt es Deutschlands größte Abteilung für schwere Jungs im hohen Alter.

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Haft ohne Gitterstäbe: In der Justizvollzugsanstalt Senne sitzen schwere Jungs im hohen Alter. Auf den Fluren gibt es genug Platz für Rollatoren. Foto: Andreas Frücht |

Haft ohne Gitterstäbe: In der Justizvollzugsanstalt Senne sitzen schwere Jungs im hohen Alter. Auf den Fluren gibt es genug Platz für Rollatoren. Foto: Andreas Frücht |

21.03.2019 | 21.03.2019, 14:00
Besondere Betreuung gefragt: Mitarbeiter Frank Baucke vor dem Hafthaus für ältere Gefangene. FotoS: Andreas Boueke - © .
Besondere Betreuung gefragt: Mitarbeiter Frank Baucke vor dem Hafthaus für ältere Gefangene. FotoS: Andreas Boueke | © .

Bielefeld. Als alter Mensch im Gefängnis - was für die Häftlinge eine Herausforderung ist, stellt auch für die Gefängnisse eine gewaltige Aufgabe dar. So wird sie in der JVA Senne bewältigt.

Frank Baucke,  Mitarbeiter der JVA Senne, der größten offenen Justizvollzugsanstalt Europas, führt uns durch die Abteilung für lebensältere Gefangene. Solche Einrichtungen gibt es in mehreren Bundesländern. Die zwei Etagen mit 87 Haftplätzen gehören zur bundesweit größten Abteilung für Gefangene ab 60 Jahren. Auf den Fluren gibt es genug Raum für Rollatoren, neben den Toiletten sind Haltegriffe angebracht, in den Duschen stehen Sitzhocker. Die Zellenfenster haben keine Gitterstäbe. Das Gefängnispersonal soll eine menschenwürdige Behandlung der älteren Männer sicherstellen.

»Keine Lust auf Kontakt zu Mithäftlingen«

Blick ins Kirchencafé: Pastorin Elisabeth Biermann zu Besuch in der Altenabteilung der JVA Senne. - © Boueke Andreas
Blick ins Kirchencafé: Pastorin Elisabeth Biermann zu Besuch in der Altenabteilung der JVA Senne. | © Boueke Andreas

Frank Baucke öffnet die Tür zur Zelle des Gefangenen Bruno Hesse. Der Mann sitzt im weißen Unterhemd auf seiner Bettkante. Ein großer Bluterguss ziert sein Gesicht. Zwei Tage zuvor ist er beim Ausgang gestürzt. „Die Wunden sind noch grün und blau", bemerkt Baucke. „Der Arzt hat aber nichts gefunden", antwortet der Häftling. „Sie wissen nicht, weshalb Sie umgefallen sind?" „Weil ich am Morgen nur einen Kaffee getrunken habe." „Das ist nicht genug. Sie müssen trinken, trinken, trinken. Nicht Kaffee, sondern Wasser."

Bruno Hesse hat Schmerzen, freut sich aber über den Besuch von Frank Baucke. „Ich bin 75 Jahre alt. Viele von den anderen Gefangenen hier sind schon dabei, wieder zu verkindlichen", sagt er. „Mit den wenigsten kann man sich vernünftig unterhalten."

Angst vor der Depression

Seit seine zweite Frau vor einem Jahr gestorben ist, verbringt Hesse die meiste Zeit allein in seinem Haftraum, obwohl die Tür jeden Morgen aufgeschlossen wird. Tagsüber können sich die Männer auf dem weitläufigen Gelände frei bewegen. Um 21 Uhr wird nachgezählt. Dann ist Einschluss. Hesse hat keine Lust auf Kontakte zu Mithäftlingen. „Ich hab Angst, dass ich depressiv werde, weil ich keine Ansprechpartner mehr habe." Mit den Knackis zu reden, sei für ihn unakzeptabel. "Davon hatte ich genug in meinem Leben. Ich war über 30 Jahre im Knast. Jetzt habe ich noch zweieinhalb Jahre vor mir."

Heute macht Hesse den Eindruck eines hilfsbedürftigen alten Mannes. Früher war er ein gewiefter Bankräuber. Im Rentenalter hat er etwas Neues versucht. „Ich habe Drogen gefahren, von Holland nach Deutschland. Das waren größere Mengen, ein Kilo Koks und drei Kilo Gras." Seine Strafe hält er für zu hoch. „Im Vergleich zu meiner kriminellen Vergangenheit sind solche Drogenfahrten Kleinigkeiten. Aber ich kann halt keine Banküberfälle mehr machen. So ist das eben. Das war mein Leben und dafür habe ich gebüßt."

Die Frage nach dem Warum

Nicht wenige Häftlinge der Abteilung haben alterstypische Beschwerden: Anzeichen von Demenz, Diabetes, Kreislauf- und Herzprobleme. Die Behandlung übernehmen ein angestellter Arzt und ein Krankenpfleger. Um die psychische Gesundheit kümmern sich zwei Seelsorgerinnen. Die katholische Pastoralreferentin Daniela Bröckl arbeitet seit neun Jahren im Gefängnis. Die älteren Häftlinge beschäftigen sich häufig mit ähnlichen Fragen, sagt sie: „Warum bin ich noch auf die schiefe Bahn geraten? Wieso habe ich das meiner Familie, meiner Frau, meinen Angehörigen angetan?"

Die deutsche Bevölkerung wird im Schnitt immer älter und so auch die Häftlinge. Daniela Bröckl meint, soziale Faktoren würden mindestens ebenso zum Anstieg der Zahl älterer Häftlinge beitragen wie der demografische Wandel. Als Beispiel nennt sie Altersarmut: „Leute, die ihre Wohnung verlieren, landen auf der Straße und werden straffällig. Das gibt es wirklich." Aber es kämen auch Männer, die ihr Leben lang viel Geld hatten und  "irgendwann die Grenze überschreiten und gegen das Gesetz verstoßen. Internetbetrug zum Beispiel oder Insolvenzverschleppung".

Ein bestimmtes Risiko besteht nicht

Alle Insassen der Abteilung gelten als lockerungsgeeignet. Bei ihnen besteht kein Flucht- oder Missbrauchsrisiko. Bruno Hesse war überrascht, als er hierher verlegt wurde. So gute Bedingungen hatte er bei früheren Gefängnisaufenthalten nirgendwo erlebt. „Sowas gab es nicht. Das Wichtigste ist, dass man seinen Ausgang gestalten kann, wie man will, und Urlaub bekommt."

Aber wohin können die Männer gehen? Für viele hat sich das soziale Umfeld verändert. Manchmal verschwindet es sogar ganz. Freunde und Angehörige sterben. Es gibt keine Wohnung mehr, in die sie zurückkehren können. Sie brauchen Unterstützung und Zuspruch. Da rückt die Bedeutung des Gefängnisaufenthalts als Strafe in den Hintergrund.

Wer aus dieser Abteilung entlassen wird, hat andere Probleme als jüngere Männer, die nach der Haft versuchen, neu anzufangen. Einige der Rentner müssen schauen, ob sie ein Altenheim finden, das Ex-Häftlinge aufnimmt. Manche wissen nicht, wie sie ihre Wäsche waschen sollen.

»Maschendrahtzaun würde keinen Ausbruch verhindern«

Für das Personal steht nicht die Kontrolle im Vordergrund, sondern Betreuung und Vorbereitung auf das Leben nach der Haft. Dazu passt auch die Struktur des Gebäudes, erklärt Frank Baucke: „Wir haben nur verminderte Sicherung, also keine Mauern. Die Maschendrahtzäune würden keinen Ausbruch verhindern."

Ein Teil der Männer war noch nie in Haft. Für sie ist es besonders schwer. Einer dieser Häftlinge ohne Vorerfahrung arbeitet in der Bibliothek. Der Rechtsanwalt wurde wegen Beihilfe zum Betrug an einem Mandanten verurteilt. „Früher war ich öfters im Gefängnis, aber in anderer Funktion", erinnert er sich. „Gefangener war ich nie."

Der Experte für Steuerrecht beteuert seine Unschuld und will sich nach seiner Entlassung darum bemühen, seinen Namen reinzuwaschen. „Es ist schon ein Drama, wenn man seinen Job 35 Jahre lang ohne Fehl und Tadel gemacht hat und dann so einen Schlag ins Gesicht bekommt, kurz vor der Rente."