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Ohne Worte

In dieser TV-Talkshow unterhalten sich die Gäste ausschließlich per WhatsApp

Sie schweigen eine Stunde lang - und tippen sich die Finger wund. In einer neuen TV-Talkshow unterhalten sich die Gäste ausschließlich im Gruppenchat. Der Moderator ist ein Bielefelder Student.

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Die Runde sitzt und schweigt: In der Talkshow "WhatsUp?" unterhalten sich die Gäste nur per WhatsApp. | © NRWision

Die Runde sitzt und schweigt: In der Talkshow "WhatsUp?" unterhalten sich die Gäste nur per WhatsApp. | © NRWision

18.03.2019 | 19.03.2019, 09:58

Dortmund/Bielefeld. Sie kennen das: Der gute Kumpel plant einen Geburtstag, die Bekannte eine Hochzeit - und plötzlich kommt jemand auf die Idee, zur Planung eine WhatsApp-Gruppe zu gründen. Und das endet statt in guter Organisation meist in totalem Chaos.

Ein TV-Sender treibt das Alltagsphänomen der WhatsApp-Kommunikation nun auf die Spitze. In einer Talkshow unterhalten sich die Gäste nicht persönlich im TV-Studio - sondern ausschließlich per WhatsApp-Gruppenchat. Das bedeutet: Eine Stunde schweigen und ausschließlich tippen.

Ausgedacht haben sich das kuriose Talkshow-Konzept Studierende der TU Dortmund. Ausgestrahlt wird die Show auf dem hauseigenen Lernsender NRWision, der von der Landesanstalt für Medien NRW gefördert wird und über Kabel und im Netz empfangbar ist. Moderiert wird die Sendung vom Bielefelder Studenten Kolja Fach.

Schon in den ersten Minuten zeigen sich die Probleme

NRWision-Chefredakteur und Journalistik-Dozent Stefan Malter hat das Projekt zusammen mit seinen Studierenden initiiert. Entstanden ist es in dem neuen Seminar "Medien-Experimente und Formatentwicklung". "Die Studierenden wollten gerne ein Thema behandeln, dass sich in ihrer aktuellen Lebenswelt abspielt – und so waren wir schnell beim Thema Kommunikation", erklärt Malter gegenüber nw.de. "Wer hat sich nicht schon darüber gewundert, dass Menschen in Cafés oder in Bus und Bahn mehr auf ihr Smartphone schauen, als miteinander zu sprechen?"

Und so wurde stillschweigend und tippend eine einstündige Sendung aufgezeichnet - mit spannenden Gästen. Mit dabei unter anderem: Nicolas Miehlke, Leiter Social Media bei der "heute-show" (ZDF), Stephanie Zabel vom Verein für Deutsche Sprache, Dr. Tobias Wels, Kommunikationsexperte (RedeFabrik) und der Lehrer und Wissenschaftsjournalist Sebastian Funk. Thema der Sendung: "Wie hat sich unsere Kommunikation durch digitale Technologien verändert?"

Schon in den ersten Minuten der Sendung zeigen sich die Besonderheiten der WhatsApp-Kommunikation. Mal stellt der Moderator eine Nachfrage, während seine Gäste noch tippen - mal fallen Antworten außergewöhnlich lang oder kurz aus. Oftmals kommt es zu langwierigen Pausen, in denen die Gäste eifrig tippen. Interessant: Was in der normalen WhatsApp-Kommunikation nicht klappt, ist im TV-Studio problemlos möglich: der Blickkontakt. Einige Gäste setzen ihn zur Kommunikation ein, andere bleiben lieber beim Smartphone-Bildschirm.

Projekt zeigt Grenzen digitaler Kommunikation

Der Bielefelder Kolja Fach moderiert die WhatsApp-Talkshow. - © NRWision
Der Bielefelder Kolja Fach moderiert die WhatsApp-Talkshow. | © NRWision

"Die Talkshow hat vor allem die Grenzen digitaler Kommunikation aufgezeigt, weil man merkt, wie einfach es doch wäre zu sprechen, wenn man persönlich zusammensitzt", erklärt Moderator Kolja Fach. "Technik hilft uns nur zu reden, wenn wir ansonsten gar nicht reden könnten, zum Beispiel wegen der Distanz. Das direkte Gespräch ist, wenn es möglich ist, aber immer überlegen."

In der Talkshow "tippen alle ewig lange und es passiert nichts", so Fach. "Dann kommen plötzlich sehr viele Nachrichten. Das war auch die Herausforderung als Moderator: Ich musste alle 'Moderatoreninstinkte' unterdrücken und mich damit abfinden, dass es ewige Durststrecken gibt, in denen nichts passiert, weil alle tippen. Hätte ich mündlich moderiert, hätte ich Gesprächspausen sofort abfangen müssen."

"Umso erstaunlicher, dass dann doch ziemlich viel Inhalt transportiert wurde – mehr als in so mancher herkömmlichen Talkshow", bemerkt Dozent Stefan Malter.

"Im Chat sind alle gleich"

Und auch die Gäste halten die Talkshow für lehrreich: "Das war wirklich ungewöhnlich - aber spannend, mal zu sehen, welche Vor- und welche Nachteile so ein Chat hat", sagt Sebastian Funk. Vor allem eins mache die Kommunikation so besonders: In so einem Chat sei jeder gleich - es gebe keine Hierarchien.

Doch es gibt auch Nachteile. "Man konnte nicht so interagieren wie bei der mündlichen Kommunikation, sei es durch Gestik und Mimik", erklärt Stephanie Zabel. "Ich hatte auch ein paar mal das Gefühl: Schreibe ich jetzt noch was, oder falle ich demjenigen dann ins Wort?"

"heute show"-Mann Nicolas Miehlke meint: "Sich erst mal zu sortieren und nicht sofort drauflos zu reden, ist wirklich eine andere Nummer. Man überlegt sich genauer: was gebe ich jetzt Schlaues von mir?" Und Tobias Wels stellt am Ende der Sendung fest: "Es ist schon befreiend, jetzt wieder reden zu können."

Show bleibt ein einmaliges Projekt

In Serie gehen wird die außergewöhnliche Talkshow jedoch vermutlich nicht. Kolja Fach bezeichnet das Format als "nicht serienfähiges" Experiment. "Um regelmäßig Publikum anzulocken ist die Sendung leider zu langatmig", erklärt der Bielefelder.

"Wegen des tollen Erfolgs werde ich das Seminar 'Medien-Experimente und Formatentwicklung' im kommenden Semester aber wieder anbieten", so Dozent Stefan Malter. Dann sollen die neuen Studierenden aber auch eine eigene Idee umsetzen dürfen.

"Ich hoffe sehr, dass dabei etwas komplett anderes entsteht. Schließlich soll Uni auch dafür da sein, immer wieder aufs Neue ergebnisoffen zu experimentieren. Standard-Fernsehen für die Quote müssen die angehenden Journalisten später im Beruf noch oft genug produzieren."


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