Bielefelder erklärt: Darum steigt die Zahl der Obdachlosen stark an

Bielefeld. Obdachlosigkeit nimmt zu. Stark sogar. Das ist ein Ergebnis einer Studie, die der Bielefelder Andreas Kämper mit seinem Unternehmen GOE durchgeführt hat. 1.910 Obdachlose wurden angetroffen, 1.360 beantworteten den siebenseitigen Fragenkatalog. Heraus kam unter anderem, dass sich das Problem Obdachlosigkeit sowohl verschärft als auch verlagert hat. Verschärft in dem Sinne, dass sich die Zahl binnen zehn Jahren fast verdoppelt habe. Verlagert in dem Sinne, dass es damals noch zwei Drittel Deutsche waren, heute nur noch ein Drittel. Auftraggeber war die Stadt Hamburg. Kämper: &bdquo;Der durchlässige EU-Binnenmarkt sorgt für Verschiebungen." "Kommen nicht, um unsere Sozialsysteme auszunutzen" Kämper, der 1989 die GOE (Gesellschaft für Organisation und Entscheidung) gründete, ihr Geschäftsführer ist und jahrzehntelang im Bielefelder Sozialdezernat arbeitete, sieht unheilvolle Trends. Einer spiegelt sich in Vorurteilen wie dem Sozialschmarotzertum. Damit kann er auf Basis der Befragung aufräumen – und das gelte auch für Bielefeld. &bdquo;Die Befragten, die zu einem guten Teil aus Rumänien, Polen und Bulgarien kommen, sind nicht hier, weil sie die Sozialsysteme ausnutzen wollten, sie kommen, weil sie sich hier Arbeit erhoffen und diese oft auch am Anfang haben." Und: &bdquo;Sie kommen meistens auch nicht über Schlepper, sondern über Familie, Freunde, Bekannte." Die Zahlen haben sich binnen 30 Jahren fast verzehnfacht Dass sie irgendwann dann kein Dach überm Kopf haben, also nicht einmal Freunde oder Bekannte, bei denen sie auf dem Sofa schlafen können (was wohnungslos, aber nicht obdachlos wäre), das deute auf ein Versagen der Systeme hin. Auch in Bielefeld. &bdquo;Es gibt offenbar schlimme Rahmenbedingungen in der Arbeitswelt, so schlimm, dass am Ende Menschen in der Obdachlosigkeit landen." Erniedrigende Löhne, verweigerte Bezahlung, schlimme Gruppenunterkünfte für Arbeiter – so etwas führe auch in die Obdachlosigkeit. Daraus ergibt sich für Kämper ein weiteres Versagen der Systeme. Denn: Wenn schon mehr Menschen auf diesem Weg in die Obdachlosigkeit kämen, dann müsse dringend verhindert werden, dass Menschen, die in Bielefeld lebten und eine Wohnung hätten, nicht auch noch über den Verlust ihrer Wohnung hinzukämen zu den Obdachlosen. "Mit Geld ist das meistens zu verhindern" Aber genau das geschehe. Der Weg: fristlose Kündigung der Wohnung, Räumungsklage, Zwangsräumung. Hier müssten Städte ansetzen – in dem sie möglichst viele Informationen austauschten: mit Wohnungsbaugesellschaften bei Kündigungen, mit Amtsgerichten bei Klagen. &bdquo;Wenn wir rechtzeitig erfahren, dass jemand seine Wohnung verliert, können wir eingreifen – mit Geld ist das meistens zu verhindern, denn es geht meistens um Mietschulden", sagt Kämper aus Erfahrung. Dieser Einsatz sei jeden Euro wert. Denn: Einerseits werde Wohnungs- und Obdachlosigkeit vermieden – und der Wohnungsmarkt explodiere bei jeder gehaltenen Wohnung nicht weiter. &bdquo;Wer neu vermieten kann, erhöht immer die Miete, das ist logisch." Kämpers Fazit dazu: &bdquo;Es ist mehr als eindeutig, dass der Wohnungsmarkt nicht mehr funktioniert." Der vielzitierte bezahlbare Wohnraum fehle. "Städtische Hilfesysteme funktionieren nicht optimal" Auch die städtischen Hilfesysteme funktionierten nicht optimal – waren Ende der 80er Jahre maximal fünf Menschen obdachlos in Bielefeld, seien es heute zehn Mal so viele. Und wohnungslos seien damals 60 bis 80 gewesen, heute mehr als 500. Der richtige Weg sei unter anderem, zentral und dezentral kleine Unterkünfte zu etablieren – so wie an der Ernst-Rein-Straße und mit den Bethel-Containern am Schillingshof in Senne. &bdquo;Vierer-Zimmer schrecken genauso ab wie ein Tierverbot – so holt man die Menschen nicht raus aus der Obdachlosigkeit." Für ihn steht fest, dass die Ressourcen und das Personal in den entsprechenden Bereichen aufgestockt werden müssen – in Hamburg wie in Bielefeld. "Es könnten auch Immobilien der Rheinarmee beschlagnahmt werden" Hier sei die Fachstelle für Wohnungserhalt und -sicherung abgeschmolzen worden, für ihn ein Fehler. Überall in Deutschland werde ähnlich verfahren – statt den Obdachlosen ernsthafte Angebote unbefristet zu machen, würden sie mal drei Tage lang, mal sieben Tage im Monat untergebracht. Frei nach dem Motto: Wo kein Kläger, da kein Richter. Rechtlich aber müsse jeder Obdachlose ein konstantes Unterkunftsangebot angeboten bekommen. Dafür, so Kämper, könnten Städte nach dem Ordnungsbehördengesetz sogar leerstehenden Wohnraum beschlagnahmen – &bdquo;zum Beispiel Immobilien der britischen Rheinarmee".

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